Stichtag

14. April 1989 - SPD stellt die Parteizeitung "Vorwärts" ein

"Das war ein ganz schwarzer Tag für uns. Wir haben echt getrauert", erinnert sich Gode Japs, damals stellvertretender Chefredakteur. Monatelang hatten die 45 Mitarbeiter des "Vorwärts" unter Führung von Günter Verheugen nach Auswegen aus der Finanzkrise ihres Blattes gesucht, Abonnenten geworben, eine Eigenbeteiligung der Beschäftigten angeboten – alles vergeblich.

Was Bismarcks Sozialistengesetze, Nazi-Verfolgung und zwei Weltkriege nicht geschafft haben, bringen die Sozialdemokraten am 14. April 1989 selbst zu Ende. Bei 15 gegen 10 Stimmen beschließt der Bundesvorstand der SPD, sein Parteiorgan "Vorwärts" aus Kostengründen einzustellen. Mit dem Traditionsblatt geht ein Stück deutscher Zeitgeschichte unter.

"Vorwärts" im Exil

Der "Vorwärts" ist so alt wie die Sozialdemokratie selbst. Die erste Ausgabe erscheint am 1. Oktober 1876, kurz nachdem sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zur SPD vereint hat. Ihrem Anspruch als "Central-Organ der Sozialdemokratie Deutschlands" werden die Gründer und ersten Chefredakteure, Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Hasenclever, gerecht. In den ersten, bewegten Jahren bietet der "Vorwärts" allen Strömungen der zur Massenpartei aufstrebenden SPD eine publizistische Heimat. Er wird zur gewichtigen Stimme der Sozialdemokratie.

Während der Sozialistenverfolgung unter Reichskanzler Bismarck muss der "Vorwärts" ab 1878 illegal im Untergrund erscheinen. Erst 13 Jahre später wird das Blatt neu gegründet, nun als Parteiorgan der SPD. Der "Vorwärts" und seine Autoren halten aber kritische Distanz zur Parteilinie, was zu andauernden Skandalen und Kämpfen um die Zeitung führt. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 wird sie sofort verboten und erscheint kurz darauf als "Neuer Vorwärts" zunächst in Prag, später dann bis 1940 in Paris.

Teures Partei-Symbol

Seine erste Nachkriegsausgabe bringt der "Vorwärts" im September 1948 heraus, im Untertitel als "Zentralorgan der SPD". Zum früheren Nimbus aber findet die kampferprobte Zeitung nicht zurück. Von nun an geht es mit der "Vorwärts"-Auflage nur noch abwärts. Mehrere redaktionelle Änderungen und schließlich die Umwandlung der Zeitung zum Magazin können den Leserschwund nicht stoppen. Die Partei muss ihr Symbol teuer bezuschussen, von 1970 bis 1989 laut damaligen Angaben mit 50 Millionen Mark. "Im letzten Jahr", weiß Ex-Redakteur Gode Japs, "waren es allein 4,5 Millionen Mark". Im Januar 1989 dreht der SPD-Vorstand den Geldhahn zu.

Daran ändern auch alle Appelle, Solidaritätsadressen und eine "Rettet den Vorwärts"-Aktion nichts. SPD-Finanzchef Friedrich Halstenberg bleibt hart: "Ich müsste alle Aktivitäten erneut um zehn Prozent kürzen, um den "Vorwärts" weiter subventionieren zu können." Wie Gode Japs sehen aber nicht wenige SPDler hinter den roten Zahlen ein weiteres Motiv für die Entsorgung der defizitären Altlast: Für einige Vorständler war die Gelegenheit wohl günstig, einen immer noch lästigen Kritiker loszuwerden. Denn, so Japs, "wir fühlten uns als unabhängige Journalisten und nicht als Parteisoldaten". Den geschichtsträchtigen Kampf-Titel trägt heute das Mitgliedermagazin der SPD. Das auch ums Überleben kämpft.

Stand: 14.04.2014

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