Stichtag

6. April 2004 - Erster Genweizen-Versuch in Deutschland

Der erste und letzte Genweizen-Versuch scheitert Anfang Mai 2004. Nicht Wildschweine wühlen nachts das Versuchsfeld um und reißen Pflanzen heraus, sondern Genweizen-Gegner. Sie sabotieren ein Freilandexperiment des Schweizer Saatgutkonzerns Syngenta. Dieser hatte am 6. April 2004 in Sachsen-Anhalt genveränderten Weizen ausgesät: Brotweizen, resistent gegen Pilzbefall.

Viele Menschen lehnen genveränderten Weizen als unkalkulierbares Risiko ab, auch weil er, anders als Soja oder Mais, vor allem in seiner reinen Form gegessen wird. "Weizen ist ein uraltes Korn, das schon in der Bibel erwähnt wird und fast sakrale Bedeutung hat", sagt Prof. Carol Mallory-Smith, Wissenschaftlerin am Department of Crop and Soil Science an der Oregon State University. Befürworter glauben jedoch, mit genmanipulierten Pflanzen den Hunger auf der Welt besiegen zu können. Mittels artfremden Genen, die in das Genom einer Pflanze eingeschleust werden, machen Forscher wie Mallory-Smith Weizen gegen Pilzbefall resistent und Mais gegen Insektenfraß oder Unkrautvernichtungsmittel.

Wildes Einkorn und Wilder Spelzweizen kreuzen sich

"Brotweizen, wie ihn der größte Teil der Menschheit heute isst, kommt in der Natur so nicht vor", erklärt Prof. Paul Schulze-Lefert, Biochemiker, Genetiker und Direktor am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. Die Geschichte des Weizens sei eine Kette dauernder Züchtung und permanenter Kultivierung. Wildes Einkorn und Wilder Spelzweizen kreuzten sich zu Wildem Emmer. Daraus wurde unser heutiger Hartweizen, Grundlage von Nudeln. Für den Brotweizen musste sich der kultivierte Emmer mit Wildem Gänsefußgras zum Dinkel und dann zu unseren heutigen Brot-Weizensorten kreuzen. Und schließlich züchtete ein amerikanischer Forscher kurzhalmigen Weizen, der schwere Ähren tragen kann. "Es ist immer wieder der gleiche Prozess: Der Mensch kreuzt und nutzt die genetische Variabilität. Dann selektiert er die Nachkommen, in denen einzelne Merkmale im Vergleich zu den älteren optimiert sind", sagt Schulze-Lefert.

Züchtung führt also zu besseren und höheren Erträgen, zu mehr Nahrung für mehr Menschen. Doch indem der Mensch bestimmte Pflanzen selektiert, begrenzt er die genetische Vielfalt einer Art. Dadurch wird das natürliche Immunsystem der Pflanze anfälliger für Schädlinge. "Mit Züchtungen ebnet der Mensch auch den Boden für Epidemien. Das beste Beispiel ist die Kartoffelfäule in Irland: Ein Schadenserreger hatte Mitte des 19. Jahrhunderts komplette Kartoffelernten vernichtet", sagt Schulze-Lefert. Millionen Iren verhungerten, Millionen Weitere wanderten aus.

Artfremde Gene sind wie blinde Passagiere

Die Gentechnik könnte ein Ausweg sein, denn sie kann das Immunsystem einer Pflanze stärken. Der Züchter bringt artfremde Gene – wie einen blinden Passagier – ein, die normalerweise in einer Pflanze nicht vorhanden sind, zum Beispiel ein Gen, das den Weizen resistent gegen Pilzbefall macht. Zum Einschleusen braucht der Züchter ein Transportvehikel, eine Genfähre. Dazu nutzt er "Agrobacterium tumefaciens", ein uraltes, natürliches Ackerbakterium. Auf dem Feld schleust dieses Bakterium eigene Gene in den Gen-Pool der Pflanze ein. Diese produziert eine Wucherung, von der sich das Bakterium ernährt, ohne die Pflanze zu töten. "Auf dieser Genfähre kann man Platz schaffen und gezielt Gene hineinsetzen, um sie auf die Pflanze zu übertragen", erklärt der genetiker Paul Schulze-Lefert das Verfahren.

Vielen Menschen erscheint die Stärkung der Pflanzen durch Gentechnik vernünftig und akzeptabel – doch das Frühstücksbrötchen aus genverändertem Weizen mag kaum jemand essen. Irgendwo auf dem Weg vom Acker auf den Teller verändert sich die Perspektive.

Stand: 06.04.2014

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