Die 19-jährige Studentin und ihr Freund wollen zu Abend essen, als es an der Tür ihrer kleinen Wohnung im kalifornischen Berkeley klopft. Im Bademantel öffnet Patty Hearst die Tür. Zwei Männer und eine Frau stürmen herein, schlagen den Freund nieder, sperren Patty in den Kofferraum eines Wagens und rasen davon. Kurz darauf hockt die Entführte gefesselt, geknebelt und mit verbundenen Augen in einem schalldicht isolierten Schrank.
So beginnt am 4. Februar 1974 eines der spektakulärsten Verbrechen der US-Kriminalgeschichte. Denn die entführte Patricia "Patty" Hearst ist nicht irgendwer. Ihre Eltern gehören zu den reichsten Familien Amerikas. Pattys Großvater war der Zeitungs-Zar William Randolph Hearst, den Orson Welles mit seinem Film "Citizen Kane" verewigt hat. Ihr Vater Randolph III. steht an der Spitze des Hearst-Konzerns, dem zahlreiche Tageszeitungen, Magazine, Radio- und Fernsehstationen gehören.
Lebensmittel statt Lösegeld
Die Entführer geben sich als "Symbionese Liberation Army" (SLA) zu erkennen, einer linksradikalen Terrorgruppe, die in den USA bislang nahezu unbekannt ist. Acht Tage nach der Entführung lassen die selbst ernannten Rächer des Volkes gegen ausbeuterische Kapitalisten den Hearsts eine Tonbandaufnahme ihrer Tochter zukommen. Es gehe ihr insgesamt gut, erklärt Patty darin; sie werde nicht misshandelt. Eine Lösegeldforderung aber bleibt aus. Stattdessen verlangen die Kidnapper Lebensmittel im Wert von je 70 Dollar für jeden der etwa zwei Millionen Bedürftigen in Kalifornien.
Vater Hearst "spendet" sieben Millionen Dollar. Am 3. April erhält er eine Audionachricht von Patty, die den Milliardär ebenso schockiert wie ganz Amerika: "Man hat mich vor die Wahl gestellt, entweder in einer sicheren Umgebung freigelassen zu werden, oder mich der SLA anzuschließen und für meine Freiheit und die Freiheit aller unterdrückten Völker zu kämpfen. Ich habe mich dafür entschieden, zu bleiben und zu kämpfen. Mein Name ist von nun an Tania." Zwei Wochen später geht eine Videoaufnahme um die Welt. Sie zeigt "Tania" unmaskiert bei einem Banküberfall, eine Maschinenpistole im Anschlag. "Unsere Aktion hat den kapitalistischen Staat gezwungen, die Revolution mitzufinanzieren", verkündet die Hearst-Tochter in einer Bekennerbotschaft.
Vom US-Präsidenten begnadigt
Über 19 Monate fahndet die Polizei nach der zur Revolutionärin konvertierten Verleger-Tochter. Als Patty Hearst im September 1975 mit einigen SLA-Mitgliedern in San Francisco festgenommen wird, lässt sie sich mit geballter Faust fotografieren. Ein Gericht verurteilt sie zunächst zu 35 Jahren Haft. Freunde der Familie wie Ronald Reagan und Western-Held John Wayne setzen sich für sie ein und machen bekannt, was Patty Hearst während ihrer Gefangenschaft durchlitten hat. 57 Tage war sie in dem engen Schrank in Todesangst gehalten worden und musste sich immer wieder als "bourgeoise Schlampe" beschimpfen lassen. Mindestens zweimal wurde sie vergewaltigt.
Ein Berufungsgericht setzt die Haft auf sieben Jahre herab. Ungeklärt bleibt, ob die 19-Jährige einer Gehirnwäsche ausgesetzt war. Oder wurde sie in Folge des Stockholm-Syndroms, bei dem die Opfer mit ihren Peinigern sympathisieren, zur Revolutionärin? Nach einer Begnadigung durch Präsident Jimmy Carter kommt Patty Hearst im Februar 1979 frei. Sie heiratet ihren ehemaligen Leibwächter, bekommt zwei Töchter und führt ein unauffälliges Leben abseits der Öffentlichkeit. Für Schlagzeilen sorgt die Milliardenerbin nur noch durch einige kleine Filmrollen. 2001 erhält Patty Hearst von Bill Clinton ein "presidental pardon" und wird damit von jeder Schuld freigesprochen.
Stand: 04.02.2014
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