Als Napoleons Truppen 1806 Preußen besiegen und der Feldherr in Berlin einzieht, macht sich deutscher Nationalismus breit - mit antifranzösischer Tendenz. Der Dichter Johann Wolfgang von Goethe in Jena hält nicht viel von der patriotischen Welle, aber sein Duzfreund Carl Friedrich Zelter in Berlin schon. Der Maurermeister komponiert nebenbei Lieder und vertont insgesamt rund 100 Gedichte von Goethe und Friedrich Schiller. Goethe ist von Zelter begeistert: "Wenn die Tüchtigkeit sich aus der Welt verlöre, so könnte man sie durch ihn wieder herstellen."
Zelter ist ein Organisationstalent, das die junge Berliner Singakademie leitet und in Preußen den Musikunterricht populär macht. Der Fechtliebhaber mag Geselligkeit. Ihm schwebt eine Mischung aus Männerchor und König Artus' Tafelrunde vor: "Eine Gesellschaft von 25 Männern, von denen der 25. der gewählte Meister ist, versammelt sich monatlich einmal bei einem Abendmahle von zwei Gerichten und vergnügt sich an gefälligen deutschen Gesängen." Die Mitglieder müssten "entweder Dichter, Komponisten oder Sänger sein." Zelters sogenannte Liedertafel trifft sich zum ersten Mal am 24. Januar 1809. Die Sangesfreunde wollen kein Konzert geben, sondern nur für sich essen, trinken und singen.
National und patriarchal
Nach Zelters Wille sollen die Männer "Gegenstände des Vaterlandes und des allgemeinen Wohls in ihrem Umfange behandeln." Das nationale Moment habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt, sagt Friedhelm Brusniak, Professor für Musikpädagogik an der Universität Würzburg. Während und nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon schließen sich zehntausende Männer in Chören zusammen. Ein Lied können sie alle: "Was ist des Deutschen Vaterland?" Der Text der heimlichen Nationalhymne stammt von Ernst Moritz Arndt.
Später, im Kaiserreich, singen bei den konkurrierenden Arbeiterchören auch Frauen mit. Ein Unding für den bürgerlichen Deutschen Sängerbund. Die deutschen Männergesangsvereine bleiben ein Hort von Patriarchat und Nationalismus. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg treffen sich 1928 rund 200.000 Deutsche und Österreicher in Wien zu einem Sängerbund-Fest. Ihre Botschaft lautet: Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Nach Adolf Hitlers Machtübernahme 1933 sind die Männerchöre leicht gleichzuschalten. "Viele Repräsentanten des Deutschen Sängerbundes waren Nazis oder standen dem Nationalsozialismus sehr, sehr nahe", so Chorforscher Brusniak.
Zelter-Plakette als Auszeichnung
Als die Männerchöre nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Bundesrepublik weitersingen, bleiben manche Funktionäre in Amt und Würden. 1956 stiftet Bundespräsident Theodor Heuss die Zelter-Plakette. Ausgezeichnet werden damit Chöre, die schon seit 100 Jahren singen. Etwa 10.000 Chöre erhalten diesen Sängerorden. Auch Bundespräsident Heinrich Lübke unterschreibt jedes Jahr hunderte Urkunden.
Der Deutsche Chorverband schätzt, dass es heute in Deutschland rund 60.000 Chöre mit etwa zwei Millionen Sängern und Sängerinnen gibt. Meistens handele es sich dabei um gemischte Chöre.
Stand: 24.01.2014
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