Nur mit großer Mühe und einem fragwürdigen Kompromiss verhindern die Vereinigten Staaten von Amerika im Oktober 2013 den Staatsbankrott – vorerst. Bis zur letzten Sekunde hatten die Republikaner den von Präsident Barack Obama vorgelegten Haushalt torpediert. Der Widerstand gilt vor allem dem von Obama geplanten Gesetz für eine allgemeine Krankenversicherung. Die unversöhnlichsten Widersacher des Präsidenten sitzen in der rechtspopulistischen Tea-Party-Fraktion der Republikaner.
Diese knapp 50 Abgeordneten, die Ralph Sina, WDR-Korrespondent in Washington, als "parlamentarische Amokläufer" bezeichnet, verstehen sich als einzige Wahrer der Freiheit, lehnen jeden staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft ab und verteufeln Obamas Gesundheitsreform als "sozialistische Übernahme". Ihr Name Tea Party geht zurück auf den Ursprungsmythos der USA: die Boston Tea Party von 1773. In der Geschichtsschreibung des Landes gilt sie als Initialzündung für den Kampf um Unabhängigkeit und gegen Unterdrückung. Was den Franzosen der Sturm auf die Bastille bedeutet, ist die Boston Tea Party für die USA. So lernt es jedes amerikanische Schulkind.
Keine Steuern ohne Mitbestimmung
Der meistgehasste Mann in den nordamerikanischen Kolonien Großbritanniens des 18. Jahrhunderts ist der Steuereintreiber der Krone. Zur Sanierung des riesigen Staatsdefizits erlässt die Regierung König Georgs III. ständig neue Abgaben und Zölle, die die Siedler an das Mutterland abführen müssen. Alles wird besteuert: Zucker, amtliche Dokumente, Zeitungen, Karten- und Würfelspiele – und der Import von Tee. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts häufen sich die Proteste gegen Ausbeutung und Bevormundung durch das Mutterland, die rasch immer radikalere Formen annehmen.
Politiker und reiche Kaufleute treiben die Siedler zum Widerstand an. Die Steuern seien illegal, da die Kolonien nicht im britischen Parlament vertreten seien. "No taxation without representation" (Keine Steuern ohne Mitbestimmung) lautet die Parole. Vor allem in Massachusetts bilden sich geheime Organisationen wie die "Sons of Freedom", die massiv gegen das Mutterland opponieren und sogar Einfuhrboykotte ausrufen. Steuereintreiber werden geteert und gefedert. Die angespannte Lage eskaliert erstmals, als in Boston stationierte britische Soldaten im März 1770 auf Demonstranten schießen, fünf Menschen töten und damit die ersten Märtyrer der Unabhängigkeitsbewegung schaffen.
Verlustreicher Kampf um Unabhängigkeit
Obwohl London die Lage in den Kolonien kaum noch kontrollieren kann, heizt die Regierung die Stimmung weiter an. Im Mai 1773 erlässt sie einen neuen Einfuhrzoll auf Tee, um damit die fast bankrotte East India Company zu sanieren. In der Nacht des 16. Dezember 1773 entern darauf etwa 80 als Indianer verkleidete Bostoner drei im Hafen ankernde Teeschiffe der Company. Unter lautem Geheul werfen sie sämtliche 342 an Bord lagernden Kisten im Wert von umgerechnet einer Million Dollar ins Wasser. Tausende verfolgen die symbolträchtige Aktion, die sich über mehrere Stunden hinzieht.
Die bald als Boston Tea Party bekannte Provokation führt zum endgültigen Schulterschuss der 13 amerikanischen Kolonien und zum Ausbruch des Unabhängigkeitskriegs. Mit brutaler militärischer Macht versucht Großbritannien noch einmal, die Aufständischen zu unterwerfen – ohne Erfolg. Am 4. Juli 1776 proklamieren die Kolonien ihre Loslösung von der Krone und die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Der verlustreiche Kampf dauert noch sechs Jahre an und endet erst 1783 mit der britischen Kapitulation durch den Friedensschluss von Paris.
Stand: 16.12.2013
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