Der zweite Deutsche Bundestag wurde gerade gewählt, der Bundeskanzler heißt zum zweiten Mal Konrad Adenauer (CDU). Und er ist 1953 zum ersten Mal nicht nur für Besucher im Bundestag, sondern auch für die Besitzer eines Fernsehapparats zu sehen. Am 6. Oktober 1953 wird die konstituierende Sitzung des zweiten Deutschen Bundestags zum ersten Mal direkt in die Wohnzimmer übertragen.
Bis zu diesem Tag hatten die Deutschen nur die Radiosendung "Die Woche im Bundestag" auf NWDR hören können, sie brachte regelmäßig Ausschnitte aus den Debatten. Lediglich die Wochenschau im Kino berichtete in Bild und Ton.
Politiker, die schreien oder Grimassen schneiden
Die meisten Politiker befürworten die Kameras im Bundestag. Einige Andere sind aber skeptisch: Wird eine direkte Übertragung der heftigen Auseinandersetzungen nicht dem Ansehen der Parlamentarier schaden? "Wenn plötzlich auf dem Fernsehbildschirm jemand erscheint, der schreit und Grimassen zieht, dann wirkt das äußerst befremdlich auf den an sich friedlich gestimmten Bürger, der sich zu Hause die Sache ansieht", sagt der spätere Bundespräsident Karl Carstens rückblickend in den 1970er-Jahren.
Die Skeptiker setzen sich bald durch. Im Jahr 1954 beginnt ein Streit um die sogenannten Pariser Verträge – sie regeln die Westintegration der Bundesrepublik. Für die noch unerfahrenen Fernsehzuschauer ist die Debatte nur schwer zu ertragen, nicht jedoch für den SPD-Abgeordneten Herbert Wehner: "Ich bin es gewohnt, ausgepfiffen und niedergebrüllt und geschlagen zu werden!", ruft er. Und an anderer Stelle sagt ein Abgeordneter, dessen Name nicht überliefert ist: "Halten Sie doch mal die Goschen und hören Sie zu, Sie Kamel!"
Tatsächlich macht eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten bald Fernsehen und Radio für die schwindende Akzeptanz der Bonner Politiker verantwortlich – und verbannt 1957 die Mikrofone und Kameras wieder aus dem Plenarsaal.
Waren die Debatten vor dem Fernsehen viel härter?
1963 darf die Erklärung der Regierung Ludwig Erhard dann wieder vom WDR-Fernsehen übertragen werden. Die Politiker haben erkannt, dass sie ein Millionenpublikum vor den Bildschirmen nicht ignorieren können. "Also zunächst möchte ich auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich das Fernsehen als die Wurzel allen Übels ansehe", sagt Karl Carstens.
Manche Politiker glauben nun sogar, das Fernsehen wirke mäßigend. "Ich behaupte, dass die Auseinandersetzungen in den ersten zwei Wahlperioden des Deutschen Bundestages viel härter, viel persönlicher und auch viel beleidigender waren, als es heute der Fall ist. Nur hatten wir zu dieser Zeit noch keine Fernsehübertragung", sagte ein Parlamentarier einmal.
Stand: 06.10.2013
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.