Der hessische Landsknecht Hans Staden wäre heute sicherlich vergessen, hätte er nicht 1557 die Erlebnisse zweier Brasilienreisen in einem Buch öffentlich gemacht. In Stadens "Warhaftiger Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen" wird unter anderem auch beschrieben, wie er in die Fänge des kannibalischen Indianerstamms der Tupinambá geriet.
Gefangen in Ubatuba
1548 reist Staden erstmals nach Brasilien, um - wie viele seiner Landsleute - im Auftrag der portugiesischen Eroberer gegen aufständische Indianerstämme zu kämpfen. 1550 sticht er im Auftrag Spaniens abermals in Richtung Südamerika in See. Schließlich gelangt er zur portugiesischen Handelsniederlassung São Vicente im heutigen Bundesstaat São Paulo, wo er auf einer vorgelagerten Insel zum Kommandant einer Festungsanlage ernannt wird. Als er die Festung einmal verlässt, wird er am 2. August 1553 von kannibalischen Tupinambá-Indianern gefangengenommen und in deren Siedlung Ubatuba gebracht.
In seiner "Warhaftigen Historia und beschreibung eyner Landtschafft der Wilden Nacketen, Grimmigen Menschfresser-Leuthen in der Newenwelt America gelegen" schildert Staden, wie die Tupinambá ihn für die feierliche Tötung präparierten, indem sie ihm Wimpern und Augenbrauen rasierten und die Haare schoren. Neun Monate lebt er in permanenter Furcht, rituell geschlachtet und verspeist zu werden.
"So half mir der allmächtige Herr"
Während seiner Gefangenschaft gelingt es Staden, den grausamen Akt immer weiter hinauszuzögern. Als die Familie des Häuptlings durch eine Seuche stirbt, sieht er seine Chance gekommen. Der Landsknecht bietet dem Häuptling an, für dessen Überleben zu beten.
Tatsächlich erholt sich das Stammesoberhaupt von seiner Krankheit, die Staden zuvor als Strafe für seine Gefangennahme ausgewiesen hat. Die Indianer lassen ihn frei: "So half mir der allmächtige Herr, der Gott Abrahams, Isaacs und Jacobs, aus der Gewalt der Tyrannen", heißt es in der "Warhaftigen Historia".
Zentrales Dokument der Brasilien-Forschung
Heute gilt Stadens "Warhaftige Historia" als erstes ausführliches deutschsprachiges Buch über Brasilien im 16. Jahrhundert und gilt als zentrales Dokument der historischen Brasilien-Forschung.
Schon bei Erscheinen ist das Buch überaus beliebt. Es wird in alle Weltsprachen übersetzt. Zum damaligen Erfolg tragen sicher auch die 52 überaus gruseligen Holzschnitte bei, die den Text illustrieren. Auf einem ist ein Sklave zu sehen, den zwei Indianer festhalten, während ein dritter ihn mit einer Keule erschlägt. Über einem Feuer werden Arme und Beine gegrillt, ein Kind hält einen abgetrennten Kopf in der Hand, um ihn im Fluss zu waschen.
Auch diese Beschreibungen kannibalischer Rituale halten Wissenschaftler trotz aller Interpretationen („Sie tun es aus keinem Hunger, sondern aus großem Hass und Neid“) heute für authentisch.
Stand: 02.08.2013
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