In Deutschland ist der Verzehr toter Tiere ein Wohlstandszeichen. Vor allem während der beiden Weltkriege gilt Fleisch als Luxusgut; in der Friedenszeit dazwischen ist der Sonntagsbraten für den Bürger der kulinarische Höhepunkt der Woche.
In den 50er und 60er Jahren dann wird der tägliche Fleischgenuss zum Symbol des Wirtschaftswunders. Randgruppen wie Vegetarier oder Veganer, die sich tierischen Produkten teils radikal verweigern, werden mit vollen Mündern sanft belächelt.
"Es duftet nach Bouillon"
Mit dem Anstieg an fettbedingten Zivilisationserkrankungen steigt aber auch langsam das Bewusstsein für Fleischersatz. Am 29. Juli 1968 kommt deshalb "TVP – die moderne Kost" auch in Deutschland auf den Markt: "Texturiertes vegetables Protein", das mit den Geschmacksrichtungen "Schwein" und "Rind" selbst eingefleischte Gourmets vom Genuss pflanzlicher Nährstoffe überzeigen soll. Das Patent darauf hält die 1902 in Minnesota gegründete "Archer Daniels Midland Company" (ADM), der größte Ölauspresser der Welt.
Grundlage des Kunstfleischs ist zumeist die Sojabohne, der in zermahlenem Zustand ihr hochwertiges Fett entzogen wird. Nach der industriellen Erhitzung des Überbleibsels entsteht unter Druck eine fleischähnliche Textur. "TVP soll Fleisch ersetzen, wo Fleisch fehlt, abgelehnt oder zu teuer ist", informiert die Wochenzeitung "Die Zeit" den bildungsbürgerlichen Endverbraucher. "Die Ähnlichkeit mit Fleisch stellt sich ein, wenn man die Brocken in siedendes Wasser geworfen hat: Eiweißschaum entsteht, und es duftet nach Bouillon".
Massenfutter für die Tiere
Inzwischen hat Kunstfleisch aus Soja seinen guten Ruf als gesundes Lifestyleprodukt eigenbüßt. Für Vegetarier und Veganer gibt es inzwischen Alternativen auf Lupinen-, Dinkel- oder Weizenbasis, aus denen Imitate für Burger, Hähnchenfilets, Scampi und Thunfisch entstehen. Soja hingegen gilt als Allergen, das unter anderem Blähungen verursacht. Zudem weisen Kritiker auf seine pflanzlichen Östrogene in der Bohne hin. Meldungen über gentechnisch verändertes Soja aus den USA, Brasilien und Argentinien schreckt Verbraucher auch in Deutschland ab.
Ohnehin ist die Sojabohne mit der Fleischindustrie eng verwoben. 90 Prozent der Ernte werden nach wie vor in der Tierfutterproduktion verwendet.
Stand: 29.07.2013
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 29. Juli 2013 ebenfalls an die Einführung von Sojafleisch. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.