Bis zu 16 Stunden tägliche Arbeit in lärmenden Fabrikhallen müssen im 19. Jahrhundert selbst hochschwangere Frauen und Wöchnerinnen aushalten. Die Arbeit in den Fabriken ist so schlecht bezahlt, dass sie unter allen Umständen weiter verdienen müssen. Die Zahl der Fehl- und Totgeburten und die Säuglingssterberate steigen stetig an, bis am 7. Juli 1878 ein erster zaghafter Ansatz von Mutterschutz eingeführt wird: In einer Novelle der Reichsgewerbeordnung für Fabrikarbeiterinnen wird ein dreiwöchiges Arbeitsverbot nach der Entbindung festgelegt - jedoch unbezahlt.
17 Millionen Säuglinge sterben zwischen 1871 und 1912
Auch ein Kündigungsschutz ist in der Novelle nicht vorgesehen. Viele junge Mütter gehen also nach dem dreiwöchigen Beschäftigungsverbot so schnell wie möglich wieder arbeiten - mit fatalen Folgen. "Vom Jahr 1871 bis zum Jahr 1912 sind in Deutschland 17 Millionen Kinder vor Ablauf des ersten Lebensjahres wieder ins Grab gesunken. 17 Millionen, von denen man die Hälfte, ich möchte sogar behaupten zwei Drittel, hätte am Leben erhalten können, wenn man beizeiten einen ausgedehnten Säuglings- und Mutterschutz geschaffen hätte", sagt die spätere SPD-Abgeordnete Liesel Kipp-Kaule im Rückblick.
Angesichts der hohen Säuglingssterberaten dehnt der Gesetzgeber ab Ende des 19. Jahrhunderts den Mutterschutz schrittweise aus. 1883 wird die Lohnfortzahlung für den dreiwöchigen Wöchnerinnenschutz eingeführt, in Höhe von 50 Prozent des Gehalts. Ab 1901 dürfen Mütter vier Wochen nach der Geburt zu Hause bleiben, ab 1903 bezahlt die gesetzliche Krankenkasse eine Hebamme. Und ab 1908 sind die Schwangeren auch zwei Wochen vor dem Geburtstermin freigestellt.
Tägliche Arbeitszeit für Schwangere wird auf neun Stunden begrenzt
Die Nationalsozialisten erlassen 1942 erstmals weitreichende Mutterschutzbestimmungen, wie Schutzfristen sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung. Kündigungen sind bis vier Monate nach der Geburt verboten und die tägliche Arbeitszeit für Schwangere wird auf neun Stunden begrenzt. Die Regeln stützen den NS-Muttermythos und sollen möglichst zahlreichen Nachwuchs sichern.
Nach Gründung der Bundesrepublik wird der Mutterchutz neu diskutiert. Im Januar 1952 verfassen die bundesdeutschen Parlamentarier - darunter die SPD-Abgeordnete Liesel Kipp-Kaule - ein "Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter". Im Wesentlichen ist es noch heute gültig. Mütter dürfen in den acht Wochen nach der Geburt nicht beschäftigt werden - und in den sechs Wochen vorher nur, wenn sie sich ausdrücklich dazu bereit erklären. Außerdem hat die Frau Anspruch auf Leistungen wie das Mutterschaftsgeld und ist gegen Kündigung geschützt.
Stand: 07.07.2013
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