Schon unsere Sprache hat einen Drall nach rechts: Alles was Recht ist, ist gut, ist jemand link, ist er schlecht. Ob jemand seiner rechten oder linken Hand den Vorzug gibt, ist angeboren. Doch Rechtshänder begegneten Linkshändern – laut Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin rund zehn bis fünfzehn Prozent der Menschen – lange Zeit mit Vorurteilen. Wohlerzogene reichen zur Begrüßung ihre rechte Hand. Jesus Christus sitzt zur Rechten Gottes. Und wer sich ungeschickt anstellt, dem sagt der Volksmund "zwei linke Hände" nach. "Es gibt noch viele andere Beispiele, die deutlich machen, dass die linke Seite abgewertet und sogar als schlechter und bedrohlich angesehen wurde. Die Ursprünge sind vielfältig. Schon bei den alten Griechen war die linke Seite die Unglück bringende", sagt Dr. Johanna Barbara Sattler, Psychologin, Psychotherapeutin und führende deutsche Expertin auf dem Gebiet der Händigkeit vor einiger Zeit in einem Gespräch.
Sattler: Umschulung ist massiver Eingriff ins Gehirn
Starken Einfluss auf den möglichst einheitlichen Gebrauch der Hände hatten Jahrhunderte später die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, das Exerzieren beim Militär und die Industrialisierung mit genormten Maschinen. "Dort wurde überall ein normierter Handgebrauch eingefordert. So wurden die alten Vorbehalte gegenüber der linken Seite auf die Linkshänder übertragen und führten zu einer sehr intoleranten Haltung", so Sattler.
Bis Mitte der 1980er-Jahre wurden die meisten Linkshänder in ihrer Kindheit angehalten, ihre rechte Hand auszubilden. Dann findet im Zuge der gesellschaftlichen Liberalisierung ein Wandel statt. Was bleibt, sind viele umgeschulte Linkshänder. Johanna Sattler, geboren am 29. Juni 1953 und selbst Linkshänderin, hat sie in ihrem Standardwerk "Der umgeschulte Linkshänder – oder: Der Knoten im Gehirn" intensiv untersucht. Die Umschulung sei ein massiver Eingriff ins Gehirn. "Es kommt dabei zu einer falschen Belastung im Gehirn. Die motorisch dominante Hälfte – bei Linkshändern die rechte – wird unterbelastet, die nicht dominante Hälfte überbelastet. Auch bei der Interaktion der beiden Hemisphären kommt es zu Störungen." Diese Fehlbelastung des Gehirns kann zu Gedächtnis-, Konzentrations- und Sprachstörungen führen und die Motorik beeinträchtigen. Auch die Seele könne leiden, Verhaltensauffälligkeiten, Süchte und Depressionen entstehen.
Linkshänder müssen sich mit verkehrter Welt arrangieren
Auch wenn es in Deutschland mittlerweile kaum noch Umschulungen gibt, im Alltag sind Linkshänder nach wie vor benachteiligt. Sie müssen sich mit einer für sie buchstäblich verkehrten Welt arrangieren. Oft sind es kleine Handgriffe, die ihnen zu schaffen machen. "Das Geldstück schiebt man zum Beispiel an der rechten Seite in den Einkaufswagen. Die Gesellschaft richtet sich ihre Welt selbstverständlich so ein, dass der Linkshänder entweder übergreifen oder für Alltagshandlungen die nicht dominante Hand nutzen muss", erklärt Sattler. Auch die Industrie ignoriere Linkshänder: Der Auslöser einer Fotokamera sitzt rechts, der Nummernblock auf einer Computertastatur, Zündschloss und Handbremse im Auto ebenfalls.
In ihrer "Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder" berät Johanna Sattler Betroffene – und übt mit gerade eingeschulten Linkshändern und Vorschulkindern, wie sie schreiben können, ohne ihre Schrift zu verwischen. "Man müsste bereits im Kindergarten mehr für Linkshänder tun, für ihre Schreibhaltung und den Umgang mit der Schere", fordert sie.
Stand: 29.06.2013
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