Stichtag

11. April 1983 - Filmepos "Gandhi“ gewinnt acht Oscars

Die Konkurrenz ist stark an diesem Abend im Dorothy Chandler Pavilion von Los Angeles. Als Favoriten der 55. Oscar-Verleihung gelten "Tootsie" mit Dustin Hoffman, Steven Spielbergs Fantasy-Märchen "E.T." und "Das Boot" von Wolfgang Petersen. Mit den meisten Nominierungen geht "Gandhi" ins Rennen.

In elf Kategorien ist das Monumental-Epos über den Nationalhelden Indiens Anwärter auf die begehrteste Auszeichnung der Filmindustrie. Zwei Jahrzehnte lang hat der Produzent und Regisseur Richard Attenborough darum gekämpft, die Biografie von Mohandas Karamchand Gandhi, genannt Mahatma (die große Seele), verfilmen zu können. Nur dank finanzieller Unterstützung der indischen Regierung kommt das 22-Millionen-Dollar-Projekt schließlich auf die Leinwand.

Shakespeare-Mime als Gandhi-Reinkarnation

Am 11. April 1983 wird Attenborough für seinen langen Atem belohnt. Gleich acht der wichtigsten Oscars räumt "Gandhi" ab: als bester Film, für Regie, Drehbuch und Kamera sowie für Kostüme, Szenenbild und Schnitt. Den Preis als bester Hauptdarsteller gewinnt Ben Kingsley, ein bislang unbekannter englischer Schauspieler, der durch die Verkörperung von Mahatma Gandhi zum internationalen Topstar aufsteigt. Ursprünglich hatten die Hollywood-Finanziers ausgerechnet Richard Burton in der Titelrolle sehen wollen, einen Star, der nicht gerade als Inkarnation asketischer Enthaltsamkeit galt.

Richard Attenborough findet in dem Shakespeare-Mimen Kingsley die Idealbesetzung für die Darstellung des charismatischen Gandhi. Der Sohn eines Inders und einer Engländerin arbeitet sich besessen in die Rolle ein. Er macht Yoga, lernt Baumwolle zu spinnen, bräunt seine Haut und nimmt Gewicht ab, bis er dem weltberühmten Vorkämpfer des gewaltfreien Widerstands verblüffend ähnlich sieht. Mit Hilfe hervorragender Maskenbildner gelingt es Kingsley, Gandhi von dessen  Anfängen 1893 als junger Rechtsanwalt in Südafrika bis zu seiner Ermordung 1948 glaubwürdig zu spielen.

"Machen Sie keinen Gott aus ihm"

Weltweit entwickelt sich "Gandhi" zum Kassenschlager, auch in Indien selbst, wo Richard Attenborough einen Großteil seines Drei-Stunden-Opus an Originalschauplätzen inszeniert hat. Damit war nicht zu rechnen, denn als in Indien bekannt wurde, dass ein Brite das Leben des großen Kämpfers gegen die britische Kolonialherrschaft verfilmt, war eine Welle der Empörung gegen das Projekt ausgebrochen. Doch in Indira Gandhi, der mit dem Mahatma nicht verwandten Ministerpräsidentin, fand Attenborough eine mächtige Unterstützerin seiner Pläne.

Bereits ihr Vater Jawaharlal Nehru hatte als Premier die Gandhi-Verfilmung begrüßt, dem Regisseur aber geraten: "Machen Sie keinen Gott aus ihm." Dieser Versuchung hat Attenborough bei aller historischen Detailtreue nur bedingt widerstanden. So mischen sich denn auch kritische Stimmen unter die Lobeshymnen von Filmexperten. Attenborough, der einräumt, wichtige Figuren und Ereignisse ausgelassen zu haben, wird vorgeworfen, Gandhis Lebensweg zu einer Imitation des Leidens Jesu überhöht zu haben. Am deutlichsten meldet sich Salman Rushdie zu Wort. "Schlimmer als Unsinn", nennt der aus Indien stammende Schriftsteller Attenboroughs Verherrlichung des gewaltlosen Widerstands – vor allem angesichts Gandhis historisch verbürgt naiver Haltung gegenüber dem Nazi-Terror.

Stand: 11.04.2013

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