"Das Leben hat mir ungewöhnliche Gelegenheiten geboten", sagt Isa Vermehren. Geboren wird sie am 21. April 1918 in Lübeck als Tochter einer liberalen, bürgerlichen Familie, die protestantisch ist, aber unreligiös. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, ihre Mutter arbeitet als Journalistin. "Meine Kindheit ist in meiner Erinnerung eine unbeschreiblich glückliche und sonnige Zeit gewesen", so Vermehren. 1933 erlebt sie den ersten gravierenden Einschnitt in ihrem Leben: Sie ist 15 Jahre alt und soll zum Appell auf dem Schulhof antreten. Die Schüler sollen mit ausgestrecktem rechten Arm die Hakenkreuz-Flagge grüßen - nur eine Freundin von Isa nicht, weil sie "Halbjüdin" ist. Daraufhin verweigert Isa den Hitler-Gruß und fliegt von der Schule.
Ohne Abschluss reist die 15-Jährige nach Berlin. Im Gepäck hat sie ihr Akkordeon, das sie - nach einer ihrer früheren Kinderschwestern - "Agathe" nennt. In der Hauptstadt spricht Isa bei Werner Finck vor, der das renommierte politische Kabarett "Katakombe" leitet. Noch kann er Witze über das Regime machen und auf der Bühne mit einer Zeitung in der Hand sagen: "Es geschehen noch Zeichen und Wunder: Wir haben Frühling und die Blätter fangen schon an, braun zu werden." Im Publikum sitzen bereits Spitzel und sammeln Material für eine Verhaftung. In diesem Programm tritt nun Isa mit "Agathe" auf und singt das scheinbar harmlose Lied "Eine Seefahrt, die ist lustig". Mit Erfolg: Die Zeile "Unser Erster auf der Brücke ist ein Kerl, Dreikäsehoch, aber eine Schnauze hat er, wie 'ne Ankerklüse groß" versteht das Publikum als Anspielung auf Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Das Lied wird auch auf Schallplatte ein Kassenschlager.
"Sippenhaft" im KZ
Während Finck bald verhaftet und die "Katakombe" geschlossen wird, macht Isa Vermehren Karriere. Sie nimmt weitere Schallplatten auf und spielt in Filmkomödien mit. In "Knock out" mit Boxweltmeister Max Schmeling tritt sie als Stimmungssängerin auf. Doch dann kommt es zu einer weiteren Wende: Auf der Suche nach dem Lebenssinn beschäftigt sich Vermehren mit Religion. Sie liest religiöse Bücher, holt das Abitur nach und tritt 1938 zum Katholizismus über. Dann wird sie mit "Agathe" als sogenannte Truppenbetreuerin an die Front geschickt.
1944 wird Isa Vermehren plötzlich verhaftet. Ihr Bruder, der kürzlich in den diplomatischen Dienst getreten war, ist zu den Briten übergelaufen. Die ganze Familie wird in "Sippenhaft" genommen. Isa Vermehren kommt ins KZ - zunächst nach Ravensbrück, später nach Buchenwald und Dachau. In Ravensbrück darf sie mit der "Agathe" einmal vor ihren Mithäftlingen spielen: "Das Lied 'Die Gedanken sind frei' war der Höhepunkt dieses Abends", schreibt sie später in ihrem Buch "Reise durch den letzten Akt", das 1946 erscheint.
Lehrerin und Fernsehnonne
Längst hat Vermehren einen Entschluss gefasst: Sie will ins Kloster und bewirbt sich nach Kriegsende bei der "Gesellschaft vom Heiligen Herzen Jesu (Sacré Coeur)". Der Orden verlangt jedoch ein Studium. Deshalb studiert sie an der Universität Bonn katholische Theologie, Deutsch, Geschichte, Englisch und Philosophie. Für ihren Lebensunterhalt steht sie mit "Agathe" wieder auf der Bühne und spielt in Filmen mit wie "In jenen Tagen" von Helmut Käutner.
1951 wird aus Isa Vermehren schließlich Schwester Isa. Da der Orden mehrere Schulen betreibt, wird sie Lehrerin: "Ich weiß zwar, dass die Kinder sich in meinem Unterricht nie gelangweilt haben, aber ob sie was gelernt haben, das bleibt für mich ein großes Fragezeichen." Später leitet sie das Sankt-Adelheid-Gymnasium in Bonn, bevor sie als Direktorin zur Sophie-Barat-Schule in Hamburg wechselt. Nach ihrer Pensionierung 1983 kehrt Schwester Isa nach Bonn zurück und wird auf dem Bildschirm präsent: Bis Mitte der 1990er Jahre präsentiert sie regelmäßig in der ARD "Das Wort zum Sonntag". Dabei greift sie auf ihre Bühnenerfahrung zurück: "Eben wie ein altes Zirkuspferd in der Manege." Isa Vermehren stirbt am 15. Juli 2009 im Alter von 91 Jahren in Bonn.
Stand: 21.04.2013
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