Rosemarie Nitribitt, Prostituierte in Frankfurt am Main, führt genau Buch über ihre Freier und versucht gelegentlich, sie zu erpressen. "Irgendwann schlägt mir noch einer den Schädel ein", soll sie einmal gesagt und dabei gelacht haben. Ihr Traum ist es - so berichtet es eine Freundin aus dem Milieu bei den Verhören -, als reiche, anerkannte Ehefrau "einen großen Salon führen zu können". Kurze Zeit später liegt die 24-Jährige erwürgt in ihrer Wohnung; am 1. November 1957 wird sie tot aufgefunden – und der Mörder nie gefasst.
Reich werden mit der Prostitution
Die Nitribitt ist stadtbekannt in Frankfurt: Ganz ungeniert, mitten in der Innenstadt ist die blonde Hure ihren Geschäften nachgegangen – und hat ein Vermögen verdient. "Der Skandal war für viele Zeitzeugen nicht die Prostitution an sich, sondern die Tatsache, dass man mit der Prostitution reich werden konnte", erklärt Christian Steiger, Autor des Buches "Rosemarie Nitribitt. Autopsie eines deutschen Skandals".
Aufgewachsen bei Pflegeeltern und in Erziehungsheimen
Als uneheliches Kind einer 18-jährigen Putzfrau kommt sie als Rosalie Marie Auguste Nitribitt am 1. Februar 1933 in Düsseldorf zur Welt. Ihre Mutter gilt im Dritten Reich als schwachsinnig; die kleine Tochter kommt ins Kinderheim und später zu Pflegeeltern in die Eifel. Mit elf Jahren wird Rosemarie dort von einem 18-jährigen Nachbarsjungen vergewaltigt. "Der Junge ging kurz darauf zur Wehrmacht. Sie blieb der Schule zwei Wochen fern, und damit war das Thema erledigt", hat Steiger recherchiert. Auf den Missbrauch folgen die haltlosen Jahre der Nachkriegszeit. Schon mit 13 Jahren verkauft Rosemarie ihren Körper an Besatzungssoldaten. Sie wird in Erziehungsheime gesperrt, reißt immer wieder aus und landet 1953 schließlich in Frankfurt, wo ihre Karriere beginnt.
Sie verbirgt ihre einfache Herkunft
Der Aufstieg gelingt ihr vor allem, weil sie als eine von wenigen jungen Frauen ein Auto besitzt. "Das Auto hat ihr geholfen, dem Rotlichtmilieu zu entkommen und ganz autark nach Freiern zu suchen", sagt Steiger. Und Nitribitt verbirgt ihre einfache Herkunft so gut sie kann, lernt Fremdsprachen, belegt Benimm-Kurse, trägt elegante Kleider und Pelze und am Finger einen Brillantring. Nichts an ihr muss billig oder ordinär gewirkt haben, erinnern sich Zeitgenossen. "Der Höhepunkt der Inszenierung war der Mercedes 190 SL: Ein schwarzes Cabriolet mit roten Ledersitzen, völlig unerschwinglich für Normalbürger", erklärt der Buchautor Steiger.
Sie hat viele gewöhnliche Freier, doch zu ihrem Freunden sollen auch der Milliardär Harald Quandt, Gunter und Ernst-Wilhelm Sachs und vor allem Harald von Bohlen und Halbach, ein Spross der Krupp-Dynastie, gehören. "Er hat ihr Liebesbriefe geschrieben, sehr schöne, romantische Briefe. Er war ganz bestimmt verliebt und sah seine Liebe erwidert", sagt Steiger.
Homosexueller, vorbestrafter Freund wird verdächtigt
Nach ihrer Ermordung verfolgt die Frankfurter Kriminalpolizei über 500 Spuren, die hohen Vertreter aus Politik und Wirtschaft jedoch werden in Ruhe gelassen. Der Chef der Mordkommission, Helmut Konrad, begründet das: "Die Kunden der Nitribitt waren seriöse und vermögende Leute, die brauchten das Mädchen nicht umzubringen, das ihnen obendrein noch Freude geschenkt hat." Viele Freier werden nur schlampig vernommen, Akten und Fotos verschwinden. Schnell legt sich die Polizei auf einen Hauptverdächtigen fest, Heinz Pohlmann, einen Freund Rosemaries. Er ist homosexuell, vorbestraft und immer knapp bei Kasse. "Er passte ganz wunderbar in das Raster eines Verdächtigen in der Prüderie der 1950er-Jahre", so der Buchautor Christian Steiger. Im Prozess drei Jahre später wird Pohlmann allerdings freigesprochen und die Polizei nimmt die Ermittlungen nicht wieder auf.
Als Rosemarie Nitribitt ermordet wird, plante sie längst den Ausstieg aus dem Gewerbe. Mit ihrem Tod wird sie über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus bekannt als die berühmteste Hure der Bundesrepublik. Beerdigt worden ist sie in ihrer Geburtsstadt Düsseldorf auf dem Nordfriedhof.
Stand: 01.02.2013
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