Faltboot von Atlantik-Überquerer Hannes Lindemann im Deutschen Museum München

Stichtag

28. Dezember 1922 - Ozean-Überquerer Hannes Lindemann wird geboren

Den meisten Menschen ist Hannes Lindemann heute wohl völlig unbekannt. Dabei müsste der Arzt, der an diesem 28. Dezember in Bad Godesberg seinen 90. Geburtstag feiert, mindestens so berühmt sein wie der Extremkletterer Reinhold Messner. Gleich zwei Mal hat Lindemann den Atlantik überquert, ganz allein und in Wassergefährten, in denen andere sich nicht einmal über den Bodensee trauen würden.

Die Geschichte seines ersten Höllenritts über den Ozean beginnt in Afrika. Anfang der 1950er Jahre verschlägt es den Rot-Kreuz-Mediziner von der Ostsee auf eine Gummiplantage in Liberia. Dort baut sich Hannes Lindemann einen Einbaum, 7,70 Meter lang und 600 Kilogramm schwer. 1955 startet er mit dem primitiven Schiffchen eine waghalsige Atlantik-Überfahrt. Sein Ziel: "Am eigenen Leib brennende Probleme des Überlebens auf hoher See lösen."

Grenzen des Machbaren ausloten

Vor allem will er die Behauptung des Franzosen Alain Bombard widerlegen, Schiffbrüchige könnten problemlos Salzwasser trinken. Das Ergebnis ist eindeutig: "Nach 24 Stunden schon begannen die Füße anzuschwellen, in weiteren 36 Stunden breiteten sich Ödeme bis zu den Knien aus." Nur mit Regenwasser und viel Glück überlebt Hannes Lindemann seine einsame Reise im Einbaum. Mehr tot als lebendig erreicht er nach 65 Tagen Haiti.

Kaum heimgekehrt, bereitet Lindemann seine zweite Ozean-Überquerung vor, um die Grenzen des physisch und psychisch Machbaren weiter ausloten. Er kauft ein handelsübliches Klepper-Faltboot, das mit 5,20 Meter Länge und 27 Kilogramm Gewicht gegen den Einbaum wie eine Nussschale wirkt. Ohne jemanden zu benachrichtigen, sticht Hannes Lindemann am 20. Oktober 1956 von Las Palmas aus in See. Vor dem Arzt liegen 5.000 Kilometer Wasser und mindestens 70 Tage in völliger Einsamkeit.

Kaum hat Lindemann den Hafen verlassen, rollen schwere Brecher über sein mit zwei Mini-Segeln ausgerüstetes Boot. Die "Liberia III" liegt viel zu tief im Wasser, deshalb muss der Abenteurer einen Teil seines Proviants über Bord werfen. Mit einem Dreizack fängt Lindemann nun Fische, die er roh verzehrt. Keine Kajüte oder Plane schützt ihn vor Wind und Kälte, doch er ist überzeugt: "Das schaffst du!"

Spiel mit dem Tod

"Manchmal glaube ich, nicht mehr am Leben zu sein", notiert Lindemann im Logbuch. "Mir ist übel, ich muss mich übergeben … ich bin müde, todmüde." Etwa auf der Hälfte seiner Route sichtet ein Dampfer das Faltboot, aber Lindemann lehnt jede Hilfe ab, will es unbedingt aus eigener Kraft schaffen. Nach fast zwei Monaten trifft ein Riesenbrecher die "Liberia III". Eine ganze Nacht schwimmt Lindemann neben seinem gekenterten Boot; erst am Morgen kann er es mit letzter Kraft wieder aufrichten. Durch autogenes Training gelingt es ihm, seinen halluzinierenden Verstand auf Kurs zu halten.

An Heiligabend, dem 66. Tag seiner Reise, sieht Lindemann am Horizont einen hellen Schein, glaubt sich seinem Ziel ganz nahe. Doch erst sechs Tage später erreicht er St. Bartholomäus auf den kleinen Antillen. Am Ende seines Buches "Allein über den Ozean" warnt Hannes Lindemann später eindringlich davor, den Husarenritt im Faltboot nachzuahmen: "Das ist auf jeden Fall ein Spiel mit dem Tode." Die "Liberia III", das kleinste Boot, das jemals den Atlantik überquert hat, ist heute im Deutschen Museum in München zu bestaunen.

Stand: 28.12.2012

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