Senden kann man vieles. Aber wer will was hören? Beim Rundfunk hat man sich seit den 20er Jahren zur Beantwortung dieser Frage allenfalls auf die wenig repräsentativen Briefe zumeist unzufriedener Hörer verlassen. Der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) will es genauer wissen. Am 1. Oktober 1947 richtet er deshalb eine "Abteilung zur Erforschung der Hörermeinung" ein.
In der Folgezeit ziehen Interviewer durch Deutschland und besuchen von Aachen bis Flensburg die Kundschaft in ihrer Wohnung. Pro Jahr werden auf diese Weise rund 50.000 Hörer nach ihren Interessen, ihrem Geschlecht oder ihrer Bildung befragt - und danach, wie lange sie im Schnitt vor dem Radioapparat verbringen.
Anfang der 50er Jahre gibt der NWDR bekannt, dass 80 Prozent der Hörer den "Bunten Abend" und 67 Prozent das "Wunschkonzert" zu schätzen wissen. Am besten kommt das Radioprogramm bei Rentnern und Akademikern an.
Steigt der Blutdruck bei der Sendung?
Wolfgang Ernst ist der wichtigste Akteur der Hörerforschung in der Nachkriegszeit – und in dieser Eigenschaft auch ein entscheidender Mitbegründer der bundesdeutschen Meinungsforschung. 1952 kommt er zum NWDR und systematisiert die Befragungen mit wissenschaftlichen Methoden. Neben Interviews vor Ort etabliert Ernst auch Studio-Tests mit dem "Program-Analyzer" – einem in den USA entwickelten Gerät, das während der Sendung unter anderem den Blutdruck misst, um die emotionale Befindlichkeit des Hörers zu untersuchen.
Aber Ernst setzt auch auf Fragebögen, Telefoninterviews und auf die "Panelforschung", mit der sich die Hörgewohnheiten einer Gruppe gleich oder ähnlich Interessierter untersuchen lässt.
Komme ich beim Hörer an?
Im Vorfeld der Aufspaltung des NWDR in WDR und NDR (1955) setzt die Hörerforschung ab 1954 für einige Jahre aus. Die "Abteilung zur Erforschung der Hörermeinung" wird abgeschafft. Erst in den 60er Jahren nimmt die Hörerforschung einen neuen Anlauf.
Für den WDR übernimmt heute die WDR-Medienforschung diese Aufgabe. Zwei Mal im Jahr beteiligt sie sich an einer telefonischen Media-Analyse, die unter anderem den Höreranteil der privaten und öffentlich-rechtlichen Anstalten bestimmt. Aber die WDR-Medienforschung liefert in Personalunion mit Befragungsinstituten auch passgenaue Antworten. So kann jede Sendungsredaktion für sich selbst erfahren, ob ihr Programm beim Hörer ankommt – oder eben nicht.
Stand: 01.10.2012
Programmtipps:
Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.
"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 1. Oktober 2012 ebenfalls an die NWDR-Hörerforschung. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.