Versicherungsbüros in Londons Fleet Street (1861)

Stichtag

7. September 1762 - Erste Lebensversicherung der Welt gegründet

Es ist eine Ur-Angst des Menschen: Die Familie bleibt mittellos zurück, wenn der Ernährer erkrankt oder stirbt. Bergleute und Handwerker im Mittelalter sind die ersten Bürger, die Kassen bilden, um sich gegen das Risiko abzusichern. "Weil die Zünfte ihr Vermögen in Laden oder Kassen aufbewahrt haben, entstand das Wort Begräbniskasse oder Sterbekasse. Aber sie sammelten Geld ohne jede mathematische Grundlage", sagt Professor Peter Koch aus Aachen, dessen Buch "Geschichte der Versicherungswirtschaft in Deutschland" in diesem Jahr erschienen ist.

Prinzipien wie Nachhaltigkeit oder Gegenseitigkeit greifen damals nicht. Die Gründung einer Kasse ist Zufall, die Einzahlung planlos, eine Auszahlung abhängig von Glück oder Gönnerhaftigkeit. Die ersten, die Geburts- und Sterbedaten, also die Lebenserwartung, statistisch notieren, sind die Kirchgemeinden. "Die Ursprünge der Versicherungsmathematik liegen in einem Zahlenwerk, das ein Breslauer Pfarrer aus Kirchenbüchern zusammengestellt hat - ohne zu wissen, was er damit entwickelt. Er glaubte, Gott sei ein unermesslicher Arithmetikus, und rufe die Menschen nach irgendwelchen mathematischen Gesetzen ab", erklärt Peter Koch.

"Primitivste Grundlage der Versicherungsmathematik"

Der fromme Mann kann mit den Erkenntnissen zwar nichts anfangen. Auf einigen Umwegen kommt das Material jedoch zum berühmten Astronomen Edmond Halley nach London. Er macht daraus erstmals lesbare Statistiken, nach dem Prinzip: Von einhunderttausend 30-Jährigen werden 300 das nächste Lebensjahr nicht erreichen. "Das ist eigentlich die primitivste Grundlage der Versicherungsmathematik", so Koch. Und sie reicht aus für die Gründung der "Society of Equitable Insurances on Lifes and Survivorships" in London am 7. September 1762, der ältesten Versicherungsgesellschaft der Welt. "Dieses 'Equitable' sollte zum Ausdruck bringen: angemessen, mathematisch begründet. Das war der entscheidende Schritt", erklärt Versicherungsexperte Koch.

25 Jahre später kommt die Versicherung nach Deutschland

Die Versicherungsgesellschaft "Equitable Life" findet für ihr Modell rasch zahlende Kunden, auch in Deutschland, wo es nichts Vergleichbares gibt. 1823 schreibt der spätere Gründer der Gothaer-Versicherungsgruppe, Ernst Wilhelm Arnoldi, in einer Denkschrift: "Das Bedürfnis ist groß, die ihres Hauptes beraubte Familie gegen Mangel zu sichern, das eigene Gemüt aber von der Qual zu befreien, welche der Gedanke an einen frühzeitigen Tod bei unerzogenen Kindern und der Vermögensunzulänglichkeit der Witwe mit sich führt." Das erste deutsche Versicherungsunternehmen wird erst 1827 nach einem Eklat in Adelskreisen gegründet. Herzog Friedrich IV. von Sachsen-Gotha-Altenburg war 1825 gestorben und eine englische Gesellschaft weigerte sich, die vereinbarte Summe auszuzahlen. Die Begründung: Beim Vertragsabschluss sei die Schwachsinnigkeit des Herzogs nicht erwähnt worden.

Mehr Versicherungspolicen als Einwohner

Anfangs können sich nur wohlhabende Bürger Lebensversicherungen leisten, für einfache Familien sind die Prämien zu hoch. Um 1860 kommen die Versicherungsvertreter dazu. Heute zahlen die Deutschen für 94 Millionen Policen ein. Für Lebensversicherungen haben die deutschen Versicherungsgesellschaften ein Vermögen von 750 Milliarden Euro angehäuft, eine Summe zweieinhalbmal so viel wie der aktuelle Bundeshaushalt. Lobbyist Peter Schwark vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, sagt: "2011 haben die Lebensversicherer insgesamt 85 Milliarden Euro ausgezahlt; das sind 230 Millionen Euro pro Tag."

"Equitable Life" hat sich verkalkuliert

Der Versicherungs-Pionier "Equitable Life" dagegen hat sich vor einigen Jahren verkalkuliert. Die Versicherten lebten länger als geplant und brachten das Finanzkonstrukt zum Einstürzen. Seitdem darf "Equitable Life" keine neuen Versicherungen mehr verkaufen und wickelt nur die alten Verträge ab.

Stand: 07.09.2012

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