Autos werden weltweit am Fließband gebaut. Doch die Produktionsmethode, die Henry Ford 1913 eingeführt hat, macht die Autos nicht nur billiger, sondern die Arbeiter möglicherweise auch krank. Denn sie werden Teil eines eng getakteten Arbeitsablaufs, was zu Muskel- und Skelettbeschwerden sowie Sehnenscheiden-Entzündungen führen kann. Die klassische Fließband-Arbeit wird zudem als monoton und abstumpfend empfunden. Die Folge: "Die Leute verlassen uns, weil sie keine Befriedigung in ihrer Arbeit finden", sagt 1972 der damalige Volvo-Chef Pehr G. Gyllenhammar dem "Spiegel". Den Mitarbeitern müsse der Spaß an ihrer Tätigkeit zurückgegeben werden.
Der schwedische Autohersteller ist das erste Unternehmen, das dieses Problem konsequent angeht. Am 3. August 1972 kündigt der Konzern an, das Fließband abzuschaffen - zumindest in zwei Werken. Volvo baut zwei neue Fabriken, erst in Kalmar und später in Udevalla. Die Produktionsstätten werden von den Arbeitern mitgeplant. Das Ergebnis: In einer großen, hellen Halle stehen die Rohkarosserien des Volvo 164 auf Plattformen, die sich elektrisch von Montageinsel zu Montageinsel bewegen. 15 bis 20 Männer arbeiten in einer Gruppe. Ein Team baut den Motor ein, ein anderes das Fahrwerk oder die Elektrik. Jeder Arbeiter muss mindestens ein Viertel der zahlreichen Handgriffe beherrschen: Immer wieder werden die Aufgaben gewechselt. "Einer der größten Vorteile dieses neuen Systems", sagt der damalige Volvo-Arbeiter Orge Christianson, sei der Umstand, "dass wir viel besser für uns selber schauen und uns vielseitiger einsetzen können."
"Bessere Qualität wirtschaftlicher herstellen"
Im Werk Udevalla geht Volvo sogar noch weiter. Dort baut jedes Team ein komplettes Auto zusammen. Dadurch werde nicht nur die Arbeit humaner, die Firma spare auch Kosten, sagt 1986 der Volvo-Manager Lars Christian Eriksson. "Wir haben eindeutig feststellen können: Durch diese Vorgehensweise können wir eine bessere Qualität wirtschaftlicher herstellen als mit dem Fließband." Auf die Dauer lohne sich eine solche Fabrik im Unterschied zu einer Fabrik mit Fließband.
Das schwedische Experiment hat Einfluss auf die deutsche Autoindustrie. Projekte zur Gruppenarbeit entstehen bei Mercedes, bei Opel und bei VW. Doch in den 1990er Jahren findet eine Rückkehr zur Fließband-Produktion statt. Japan wird nun zum Vorbild der Autobauer. Japanische Konzerne produzieren billiger und effizienter. Das Zauberwort heißt nicht mehr Teamarbeit, sondern "Lean Production" ("Schlanke Produktion"). Elemente der Gruppenarbeit werden jedoch in die Fließbandfertigung integriert. Nun aber vor allem, um mehr Arbeit auf weniger Mitarbeiter zu verteilen.
"Sehr viel anstrengender"
Zudem vergeben die Auto-Konzerne immer mehr Arbeiten an Zuliefer-Firmen. Mittlerweile werden dort rund 75 Prozent eines Autos gebaut - und nicht beim Hersteller. Die Konzerne können so hohe Lagerkosten sparen. Die Zulieferer schicken ihre Einspritzpumpen und Scheinwerfer "just in time" - exakt dann, wann sie gebraucht werden. Das funktioniert am besten, wenn die Produktion straff organisiert ist - eben wie am Fließband.
"Gegenüber Kalmar und Udevalla sind die heutigen Arbeitsplätze sehr viel anstrengender, sehr viel leistungsintensiver und auch unter Belastungsgesichtspunkten schlechter organisiert", sagt der Göttinger Soziologe Martin Kuhlmann. Das sei auch bei Volvo so. Das Werk in Kalmar ist seit 1994 geschlossen. Der Autobauer konzentriert damals seine Produktion im Stammwerk Torslanda bei Göteborg. Die Mitarbeiter können dorthin wechseln - ans Fließband.
Stand: 03.08.2012
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