Stichtag

18. Juni 1982 – Todestag von Djuna Barnes

Es gibt ein Foto. Es zeigt Djuna Barnes, 30 Jahre alt, mit ihrer Geliebten, der Bildhauerin Thelma Wood. Sie schreiten den Boulevard du Montparnasse in Paris herab und beherrschen dabei einen so vollkommenen Gleichschritt, als seien sie eins. Barnes wirkt etwas kantig, mit ihren großen Brüsten und dem schwingenden Cape; Thelma knabenhaft. Beide sind sie groß und schön, tragen schwarz. An Woods Seite rast Djuna Barnes durchs Leben. Beide trinken zu viel und provozieren sich mit Affären. Barnes reist dazu quer durch Europa und immer wieder in ihre Heimat, die USA. Sie sagt über diese Zeit: "Ich war in einer höllischen Verfassung. Eine dicke Melancholie lastete auf mir, schwer wie der Arsch eines Bullen." Aber ohne Thelma Wood hätte ihr berühmtestes Werk "Nachtgewächs" nicht entstehen können. Als Nora, für die Djuna steht, vergeblich auf Robin, also Thelma, wartet heißt es im Roman: "Robins Abwesenheit wurde mit fortschreitender Nacht zu einem körperlichen Verlust, unerträglich und unersetzlich. Wie eine amputierte Hand nicht verleugnet werden kann, weil sie eine Zukünftigkeit erfährt, deren Opfer ihr Vorfahr ist, so war Robin eine Amputation, von der sich Nora nicht lossagen konnte."

Von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet

Djuna Barnes wird am 12. Juni 1892 in Cornwall-on-Hudson, nicht weit von New York geboren. Sie wächst in einer unkonventionellen Familie auf, der Vater hat seine Geliebte im Haus und die Mutter mit sich zu tun. Vater und Großmutter, eine Freidenkerin, Spiritistin und Verfechterin der freien Liebe, unterrichten die Kinder nach ihrem Weltbild. Auf dem Lehrplan stehen die Bibel, Shakespeare und moderne Poesie. Früh beginnt Djuna zu schreiben. Einige Wochen ihrer Jugend werden sie bis ans Ende ihres Lebens quälen: Ihr Vater verschenkt das noch nicht 18-jährige Mädchen an den Bruder seiner Geliebten. Nach einigen Wochen schickt der deutlich ältere Percy Faulkner die vergewaltigte Djuna wieder zurück, mit Anfang 20 entflieht sie dem Familienclan ins New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village. Kurze schwarze Haare, von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet, stets umweht von einem Cape: Oft folgen ihr pfeifende junge Männer, doch niemals dreht sie sich um, wenn sie hochmütig durchs Village schreitet.

Einsame Eleganz und roter Mund

Als Djuna Barnes 1919 mit 27 Jahren nach Paris geht, ist sie in den USA bereits eine gefragte Dichterin, Journalistin und Zeichnerin. Sie hat einen Auftrag im Gepäck, ein Porträt über den irischen Schriftsteller James Joyce. Der erinnert sich an die Dichterin: "Sie schreibt, schaut, schreibt. Auf dem Tisch vor ihr wächst ein Stapel Untertassen. Sie kommt oft in aller Herrgottsfrühe hierher und sitzt in ihrer einsamen Eleganz. … Ihr Hut - einer Krone gleich - schillert zugleich schwarz und golden in der Morgensonne. Tief ins Gesicht gezogen und dennoch versteckt er es nicht. Ihre Augen locken, durchdringen, erfassen. Notieren. Ihr roter Mund? Eine Festung." In Paris entsteht auch der Roman "Nachtgewächs". 1936 bringt T.S. Eliot "Nightwood" bei "Faber and Faber" in London heraus, obwohl die Kürzungen, die der Verleger aus dramaturgischen und aus Gründen der Anstößigkeit vorgenommen hat, Barnes verletzt haben. Das Werk gilt als schwierig, ist mehr Poesie als Roman. Ein Erfolg wird es zu ihren Lebzeiten nicht, bleibt ein Weltklassiker ohne große Leserschaft.

"Das Leben war für sie ein schreckliches Stück Chaos"

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs muss Djuna Barnes wie viele Künstler Paris verlassen – ohne ihre große Liebe, mit magerem künstlerischem Erfolg, bei schwacher Gesundheit und in finanzieller Not. Wieder bezieht sie ein winziges Zimmer im New Yorker Greenwich Village, zieht sich jedoch nach den Pariser Exzessen völlig zurück und magert ab. "Ich will weder Lesungen veranstalten, noch Fragen beantworten, noch mich für Photos in Positur setzen – ich will diesen ganzen Kram nicht, der dazugehört, wenn man in die Zeitungen kommen will. Und dumme Fragen machen mich verrückt", erklärt sie. Barnes lebt von den Zuwendungen einiger Freunde, zum Beispiel der Mäzenin Peggy Guggenheim, und von Sozialhilfe. Inge von Weidenbaum, eine ihrer deutschen Übersetzerinneren hat sie fünf Jahre vor ihrem Tod mehrmals getroffen. Sie sagt: "Das Leben war für sie ein großartiges, ein tragisches, gleichzeitig ironisches, schreckliches Stück Chaos." Barnes selbst erklärt: "Das Leben ist niederträchtig, qualvoll und kurz. In meinem Falle war es nur niederträchtig und qualvoll." Sie stirbt im Alter von 90 Jahren am 18. Juni 1982 in New York.

Stand: 18.06.2012

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