Stichtag

16. Mai 1717 - Voltaire wird in der Bastille eingekerkert

Im 18. Jahrhundert prangert Voltaire die Missstände des Absolutismus und der Feudalherrschaft an. Wegen wiederholten Spotts kerkert ihn das französische Königshaus zu Beginn des Jahrhunderts in der Bastille ein.

Frankreich zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Während die Bevölkerung nach Krieg und Missernten hungert, amüsiert sich der Adel bei ausschweifenden Banketten. Am französischen Hof herrscht - die Lust. Statt den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, feiert Regent Philippe von Orléans lieber frivole Feste. Nach dem Tod des Sonnenkönigs regiert er im Namen von Ludwig XV., der noch unmündig ist.

Das gefällt nicht allen: In Spottgedichten prangert Voltaire, ein junger Pariser Philosoph und Schriftsteller, die Missstände des Absolutismus und der Feudalherrschaft an. Er fordert Gedankenfreiheit und Gerechtigkeit.

"Monarchie nicht infrage gestellt"

1717 geht in Paris ein unglaubliches Gerücht um: "Dem Regenten ist damals eine Beziehung zu seiner ältesten Tochter nachgesagt worden, der Herzogin von Berry, die in der Tat für ihr ausschweifendes Leben bei Hof bekannt geworden ist", sagt Rainer Babel, Privatdozent am Deutschen Historischen Institut in Paris. Der 22-jährige François-Marie Arouet alias Voltaire reimt: "Unter der Herrschaft eines Knaben und der Regentschaft eines Mannes, der durch Gift und Blutschande bekannt wurde, (...) wird das Vaterland der Hoffnung auf ein rechtloses und frevelhaft vorweggenommenes Kronerbe geopfert."

Ob der Dichter mit seinem Inzest-Vorwurf als gefährlicher Aufrührer wahrgenommen wird, bezweifelt Babel: "Es war ja auch nicht so, dass Voltaire die Institution der Monarchie infrage gestellt hätte." Die Verse seien wohl wenig mehr gewesen "als der Versuch eines glänzenden jungen Literaten zu zeigen, was er konnte".

Elf Monate Haft

Es ist allerdings bereits das zweite Mal, dass Voltaire, der Sohn eines Notars, den Regenten provoziert. Beim ersten Mal hat der Herzog von Orléans noch Milde walten lassen und den Spötter nur ein paar Monate aus Paris verbannt. Doch das beeindruckt Voltaire offenbar nicht: Kaum zurück in der Hauptstadt echauffiert er sich gegenüber einem Wirtshausgast: "Wie? Sie wissen, was der Unhold mir angetan hat? Er hat mich ins Exil verbannt, weil ich publik gemacht habe, dass seine hochwohlgeborene Tochter eine Hure ist!"

Der Kneipengast entpuppt sich als Hofspitzel. Am 16. Mai 1717 wird der junge Rebell wegen Majestätsbeleidigung für elf Monate in den Kerker geworfen. Hinter den Festungsmauern der Bastille legt sich Arouet den Künstlernamen Voltaire zu und dichtet sein erstes Heldenepos: Die "Henriade", einen Hommage an Heinrich IV. und die Toleranz: "Glücklich der Staat, wenn das Volk in seiner Pflichten Erkenntnis, so wie es soll, der höchsten Gewalt Verehrung beweiset!" Voltaire setzt Vernunft, Toleranz, Freiheit und Menschlichkeit gegen Dekadenz und Korruption des Ancien Régime. Als Autor von mehr als 750 Werken wird er zum Wortführer der europäischen Aufklärung und zum Wegbereiter der Französischen Revolution.

Stand: 16.05.2012

Programmtipps:

Auf WDR 2 können Sie den Stichtag immer gegen 9.40 Uhr hören. Wiederholung: von Montag bis Freitag gegen 17.40 Uhr und am Samstag um 18.40 Uhr. Der Stichtag ist nach der Ausstrahlung als Podcast abrufbar.