Tunesien, Ägypten, Libyen - politische Unruhen führen 2011 in mehreren arabischen Ländern zu einem Machtwechsel. An Algerien zieht der "Arabische Frühling" allerdings vorbei. Die Gründe für die relative Ruhe dort sind in den 1990er Jahren zu suchen. Damals tobt in Algerien ein Bürgerkrieg, dessen Folgen noch nachwirken.
Rückblick: Ende der 1980er Jahre steckt Algerien in einer Wirtschaftskrise. Die Weltölpreise sind eingebrochen, von denen das Land so abhängig ist. Demonstranten protestieren zudem gegen soziale Ungleichheit und Korruption. Das Regime reagiert mit Zugeständnissen. Die Öffnung der Wirtschaft wird vorangetrieben, die Alleinherrschaft der Staatspartei FLN beendet. Eine vorsichtige Demokratisierung soll die Situation entspannen. Im Februar 1989 gründet sich der "Front islamique du Salut" (FIS), die sogenannte Islamische Heilsfront. Als islamistische Volksbewegung gewinnt sie Mitte 1990 die Kommunalwahlen.
Wahlsieg durch Militärputsch verhindert
Im Dezember 1991 werden Parlamentswahlen angesetzt. Im ersten Urnengang erhält die "Islamische Heilsfront" fast die Hälfte aller Stimmen. Das Regime steht unter Schock. Es zeichnet sich ab, dass die FIS den zweiten Wahlgang gewinnen würde. Doch soweit kommt es nicht. Das Militär putscht und verhindert damit die Machtübernahme der Islamisten. Präsident Chadli Bendjedid muss zurücktreten. Das Parlament wird aufgelöst, die Wahlen für nichtig erklärt und die Verfassung außer Kraft gesetzt.
Mohamed Boudiaf, der 1964 noch als Befürworter der Demokratie davongejagt worden ist, kehrt auf Wunsch des Militärs nach 27 Jahren Exil zurück. In seiner ersten Amtshandlung verbietet der neue Mann an der Spitze des Staates am 4. März 1992 die "Islamische Heilsfront". Boudiaf sieht in den Parteien die Wurzel aller Probleme. Auch die Korruption will er bekämpfen. Doch dann wird der Präsident während einer Rede, die im Fernsehen übertragen wird, erschossen. Als Attentäter wird ein allein handelnder FIS-Anhänger ausgemacht. Doch vieles spricht für eine Inszenierung, denn mit seinen Anti-Korruptionsmaßnahmen kam Boudiaf dem Militär gefährlich nahe.
Bürgerkrieg mit tausenden Toten
Algerien stürzt ins Chaos. Die "Islamische Heilsfront" bricht auseinander, verschiedene militante Bewegungen spalten sich ab und gehen in den Untergrund. Sie wollen einen islamistischen Staat herbeibomben. In algerischen Dörfern werden mehr als zwei Dutzend Massaker mit teilweise hunderten Toten verübt. Im folgenden Bürgerkrieg missachten auch die staatlichen Sicherheitskräfte alle humanitären Prinzipien. Als Abdelaziz Bouteflika 1999 Präsident Algeriens wird, sind die bewaffneten Islamisten militärisch besiegt. Zehntausende, nach manchen Schätzungen 200.000 Tote hat der fast zehn Jahre dauernde Bürgerkrieg gefordert.
Eine Versöhnung zwischen Islamisten und Säkularen, zwischen Regime und Opposition findet jedoch nicht statt. Gemäßigte Islamisten paktieren inzwischen mit dem Regime. Algerien trägt das Gewand der Präsidialdemokratie, aber nach wie vor regiert das Militär. Gemeinsam mit den Islamisten hat es das Land fest in der Hand. Die Bevölkerung hat kaum Möglichkeiten, Veränderungen zu fordern. Viele Menschen haben auch Angst vor neuen Auseinandersetzungen und halten deswegen still.
Stand: 04.03.2012
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 4. März 2012 ebenfalls an das Verbot der "Islamischen Heilsfront" (FIS). Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.