Oliver Twist ist ein Waisenjunge und wächst im Armenhaus auf. Hier hat er die Wahl, "nach und nach im Haus oder außer Haus zu verhungern", heißt es im Roman "Oliver Twist" (1837-1839) von Charles Dickens. Im Armenhaus allerdings wird die Prozedur durch viel zu dünne Hafergrütze hinausgezögert.
Als sich der halbverhungerte Titelheld vom Tisch erhebt und vom Aufseher unverschämterweise einen Nachschlag verlangt, wird er verprügelt und für fünf Pfund an einen grausamen Lehnherren verkauft: Erfahrungen von Armut, die Charles Dickens in abgeschwächter Form selbst gemacht hat.
Die Wirklichkeit beschreiben
Dickens wird am 7. Februar 1812 in der Nähe des Seestädtchens Portsmouth geboren. Sein Vater verdient als Angestellter der Hafenbehörde genug, um seine Frau und seine acht Kinder zu ernähren – bis er für geringeren Lohn nach London versetzt wird und versucht, den Verlust mit windigen Geschäften auszugleichen.
1823 muss die ganze Familie außer Charles ins Schuldgefängnis: Der zwölfjährige Junge wird gezwungen, in einer Fabrik gemeinsam mit anderen Kindern aus ärmsten Verhältnissen Schuhwichse in Flaschen abzufüllen. Nach ein paar Monaten kann er die Fabrik wieder verlassen – aber die Hoffnungslosigkeit seiner Lage wird ihn für sein Leben prägen.
Humor und Mitgefühl
In der Folge versucht Dickens, der Armut zu entrinnen. Er geht zur Schule, wird Anwaltsgehilfe, Gerichtsreporter und Journalist. Dadurch kommt er mit den unterschiedlichen Ungerechtigkeiten der Industrialisierung in Berührung. In seinen "Skizzen von Boz" schildert er das Milieu der kleinen Leute und des Mittelstands – mit Mitgefühl, aber auch mit viel Humor.
1836 heiratet Dickens Catherine Hogarth, mit der er zehn Kinder hat - und von der er sich nach 22 Jahren Ehe wegen einer wesentlich jüngeren Schauspielerin trennen wird. 1836 beginnt auch die Veröffentlichung seines von Ironie und Situationskomik durchsetzten Fortsetzungsromans "Die Pickwickier". Das Buch über einen Klub, der "die genaue Beschreibung und Analyse der Wirklichkeit liefern" will macht ihn über Nacht zum gefeierten Schriftsteller.
1837 wird Dickens Herausgeber der Zeitschrift "Bentley's Miscellany", in der anschließend "Oliver Twist" erscheint. 1845 wird er zudem Herausgeber der liberalen Tageszeitung "Daily News", für die er auch anklagende Leitartikel verfasst.
Sozialer Abstieg mit Happy End
Dickens schreibt wie besessen, zum Teil an mehreren Romanen gleichzeitig – immer getrieben von der Angst, wieder ins soziale Elend abzurutschen. Für seine Fortsetzungsromane "Oliver Twist", "Nicholas Nickleby" (1838-1839), "Der kleine Raritätenladen" (1840-1841) oder "David Copperfield" (1849-1850) erfindet er zumeist kindliche Helden, die der viktorianischen Gesellschaft mit ihrer Ungerechtigkeit und Kinderarbeit den Spiegel vorhalten. Am Ende aber gönnt er seinen Figuren fast immer ein Happy End.
Seinem Hang zum glücklichen Ende bleibt Dickens selbst bei den düsteren Romanen des Spätwerks wie "Harte Zeiten" (1854) oder "Große Erwartungen" (1860-1861) treu – wohl auch, um seine Leserinnen und Leser nicht zu vergraulen. Dickens stirbt 1870, mit nur 58 Jahren, nach einem zweiten Schlaganfall auf Gad’s Hill Place bei Rochester. Heute gilt er als meistgelesener Autor der englischen Literatur.
Stand: 07.02.2012
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