Sie ist eine Pionierin der Meinungsforschung: Schon im Mai 1945 fragt Elisabeth Noelle-Neumann in Tübingen amerikanische Offiziere, ob sie Umfragen in der Bevölkerung durchführen dürfe - vergeblich. Anderthalb Jahre später erhält sie von der französischen Militärregierung schließlich eine Lizenz. Zusammen mit ihrem Ehemann, dem Journalisten Erich Peter Neumann, gründet sie 1947 in Allensbach am Bodensee das "Institut für Demoskopie" - das erste seiner Art in Deutschland.
Kennengelernt hat Elisabeth Noelle-Neumann die Meinungsforschung in den USA, als sie 1937 und 1938 an der Journalistenschule der Universität von Missouri im Bundesstaat Columbia studiert. Dort stößt sie auf die Schriften des US-Demoskopen George Gallup und ist sofort fasziniert. Ermöglicht hat ihr den Auslandsaufenthalt ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, für das sie zuvor der "Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen" (ANSt) beigetreten ist.
Journalistin bei NS-Wochenzeitung
Privilegiert ist Elisabeth Noelle seit ihrer Geburt am 19. Dezember 1916 in Berlin. Sie stammt aus einer Millionärsfamilie. Elisabeth ist hochintelligent und frühreif, wie sie in ihren "Erinnerungen" schreibt. Schon mit 13 Jahren habe sie heimlich das Nachtleben der Hauptstadt erkundet und oft die Schule geschwänzt: "Meine Eltern schickten mich ins Internat, weil sie sagten, dass ich meine jüngeren Brüder verderbe." 1933 kommt sie nach Salem, muss die Schule wegen einer Liebschaft aber bald wieder verlassen, geht nach Göttingen und macht dort ihr Abitur. Ab 1935 studiert sie Zeitungswissenschaften und Amerikakunde. Nach ihrer Rückkehr aus den USA schreibt sie ihre Doktorarbeit mit dem Titel "Amerikanische Massenbefragung für Politik und Presse". Die Arbeit enthält antisemitische Stereotype wie etwa den Satz: "Seit 1933 konzentrieren die Juden, die einen großen Teil von Amerikas geistigem Leben monopolisiert haben, ihre demagogischen Fähigkeiten auf die Deutschlandhetze."
1940 beginnt sie als Journalistin bei der nationalsozialistischen Wochenzeitung "Das Reich". Bis 1945 arbeitet sie für insgesamt sechs verschiedene Blätter. Noelle-Neumann tritt zwar nicht in die NSDAP ein, arrangiert sich aber. Später bestreitet sie, Antisemitin gewesen zu sein, und erklärt etwaige Äußerungen mit den Zeitumständen und ihrer Naivität.
Lehrstuhl für Publizistik in Mainz
Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt Noelle-Neumanns Karriere als Meinungsforscherin. Bereits ab 1950 zählt ihr "Institut für Demoskopie" die wechselnden Bundesregierungen zu seinen ständigen Auftraggebern. Zu den CDU-Bundeskanzlern Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Helmut Kohl hat sie stets einen guten Draht. Ihre Nähe zur Partei, sagt Noelle-Neumann, habe aber nie Einfluss auf ihre Forschungsarbeit gehabt.
Neben ihrer Institutsarbeit nimmt die Demoskopin zahlreiche Lehrverpflichtungen wahr. Sie ist Dozentin an der Freien Universität Berlin, hat ab 1964 einen Lehrstuhl für Publizistik in Mainz und Gastprofessuren in München und Chicago. International erfolgreich ist Noelle-Neumanns Buch "Die Schweigespirale", das 1980 erscheint und in rund ein Dutzend Sprachen übersetzt wird. Darin schreibt sie, dass die öffentlich geäußerte Meinung vieler Menschen von der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung abhängt, die wiederum durch Massenmedien beeinflusst wird.
Das Leben der "Pythia vom Bodensee", wie die Wissenschaftlerin in Anlehnung an die Seherin des antiken Orakels von Delphi genannt wird, kreist um die Meinungsforschung - was teilweise esoterische Züge annimmt: "Ich glaube, dass die Möglichkeit, aus der Demoskopie Orientierung zu gewinnen im Sinne von Fernblick, noch nicht annähernd ausgeschöpft ist." Sie habe deshalb ein Spezialgebiet begründet: "die prophetische Kraft". Elisabeth Noelle-Neumann stirbt, mit zahlreichen Preisen bedacht, am 25. März 2010 in Allensbach im Alter von 93 Jahren.
Stand: 19.12.2011
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