"Nordsee ist Mordsee", sagt der Volksmund. Damit meint er die Naturgewalten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein gilt der Spruch aber auch für die Küsten: Hat sich ein Schiffbrüchiger ans Ufer gerettet, lauern dort nämlich die Strandräuber. Die Plünderung gestrandeter Schiffe gehört zu den Einkommensquellen von Küsten- und Inselbewohnern. Nach altgermanischer Vorstellung ist der Fremde rechtlos, sein angeschwemmtes Gut herrenlos. Noch die Schleswig-Holsteinische Strandordnung von 1712 gibt ein gestrandetes Schiff der Plünderung frei, sobald die Mannschaft es verlassen hat. Kein Wunder, dass mitunter nachgeholfen wird, etwa mit falschen Leuchtfeuern und Seezeichen. Eine Chronik von Neubukow an der Ostsee berichtet sogar, wie die Küstenbewohner Schiffbrüchige vor ihren Augen ertrinken lassen und die Überlebenden mit langen Stangen wieder ins Meer zurück treiben.
Im 19. Jahrhundert entdeckt der Tourismus die deutschen Strände. Das bedeutet das allmähliche Ende der Küstenpiraterie. Erholungssuchende Gäste bringen mehr ein als Schiffbrüchige. Und sie mögen keine Räuber als Gastgeber. Am 17. Mai 1874 erlässt die Deutsche Reichsregierung die erste allgemeine Strandungsordnung. Ab jetzt sind "Seeauswurf und strandtriftige Gegenstände" beim zuständigen Strandamt abzugeben, das die rechtmäßigen Eigentümer ermittelt. Schiffbruch führt nicht mehr zur Vogelfreiheit.
Die Strandungsordnung wird 1990 wieder aufgehoben. Heute gilt das Fundrecht - und danach ist "Strandraub" bei Gegenständen bis zu einem Wert von 10 Euro wieder erlaubt. Aber das stellt wohl keine Alternative zum Tourismus dar ...
Stand: 17.05.04