"Sozialdemokratischer Vorzeigeunternehmer" ist das gängigste Etikett, das Philip Rosenthal anhaftet. Doch es gibt Zeiten, da mögen ihn weder die SPD noch die Unternehmerverbände gern als einen der ihren vorzeigen. In beiden Lagern gilt der politisch engagierte Chef des gleichnamigen weltbekannten Porzellanherstellers als unbequemer Querdenker. Die "Demokratisierung der Wirtschaft durch Beteiligung der Arbeitnehmer am Haben und Sagen" bleibt zeitlebens sein grundlegendess Anliegen.
Nicht selten muss sich der schwerreiche Porzellan-Industrielle mit der gewinnenden Ausstrahlung fragen lassen, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Die SPD-Kanzler seiner aktiven Bonner Jahre sind noch alles andere als "Genossen der Bosse", da ist der "Sozialrevoluzzer" Rosenthal mit seiner Kapitalismus-Kritik der Zeit weit voraus. Im eigenen Unternehmen setzt er sie um: Bereits 1963 beginnt Rosenthal in Selb mit dem Aufbau eines Beteiligungssystems für seine Belegschaft.
Von der Fremdenlegion ins Foreign Office
"Erfolg im Leben ist etwas Sein, etwas Schein und sehr viel Schwein" lautet ein charakteristisches Bonmot, mit dem der 1916 geborene Philip Rosenthal seine Lebenserfahrung beschreibt. 1879 hat sein gleichnamiger Vater die Rosenthal AG gegründet und zu internationalem Ansehen geführt. Wegen seiner jüdischen Abstammung wird er von den Nationalsozialisten aus dem eigenen Unternehmen gedrängt und stirbt 1937.
Rosenthal junior, am väterlichen Erbe zunächst uninteressiert, übersiedelt 1934 zum Studium nach England. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meldet er sich zur französischen Fremdenlegion und dient in Nordafrika. Mehrmals wird Rosenthal gefangen genommen, mehrmals kann er fliehen und sich als Straßenarbeiter oder Schweinehirt durchschlagen. 1942 gelingt ihm auf abenteuerlichen Wegen die Flucht zurück nach England. Mit der britischen Staatsbürgerschaft geehrt, erhält Rosenthal eine Anstellung im Auswärtigen Amt, dem "Foreign Office".
Schneller Rückzug als Staatssekretär
1948 erhalten Philip Rosenthal und seine Mutter in Deutschland eine Million Mark und elf Prozent der Rosenthal-AG-Aktien als Entschädigung. Von ganz unten arbeitet sich Philip Rosenthal, der nun zwei Staatsbürgerschaften besitzt, im väterlichen Unternehmen empor und übernimmt 1958 den Vorstandsvorsitz. Mit der avantgardistischen, von international bekannten Künstlern kreierten "Studio Line", etabliert er Rosenthal als stilbildende Marke auf dem Porzellan-Markt. Nach dem Rückzug in den Aufsichtsrat beginnt 1965 sein Engagement für die SPD. 1969 wird er Bundestagsabgeordneter und im Jahr darauf unter Karl Schiller Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.
Rosenthals Vorstellungen über die Umsetzung der Arbeitnehmer-Mitbestimmung führen schnell zu Querelen mit seinem konservativ-pragmatisch denkenden Minister Schiller. Im November 1971 tritt er als Staatssekretär zurück, doch sein Bundestagsmandat gibt Rosenthal erst nach Helmut Kohls Wahlsieg 1982 auf. Als Mitglied des Fraktionsvorstands und Berater der Parteiführung bleibt er bis Anfang der 90er-Jahre in der SPD aktiv. Das Grundkapital der Rosenthal AG ist inzwischen zu rund acht Prozent im Besitz der Belegschaft. Sportlich und geistig rege bis ins hohe Alter, mit Orden und akademischen Würden reich geehrt, stirbt Philip Rosenthal am 27. September 2001 kurz vor seinem 85. Geburtstag in "seiner" Stadt Selb.
Stand: 27.09.2011
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