Anzeichen für eine ernste Erkrankung gibt es zwar seit einiger Zeit. Aber als Frankreichs Präsident Georges Pompidou am 2. April 1974 stirbt, kommt die Nachricht doch überraschend. Der 62-Jährige hat bis zuletzt verschwiegen, dass er an Morbus Waldenström, einer seltenen Blutkrankheit, leidet. Seine Beisetzung wird von gregorianischen Gesängen begleitet. Das hat Pompidou persönlich verfügt. In seinem Amt hat er sich hingegen immer als Mann der Moderne präsentiert und die Industrialisierung Frankreichs propagiert: "Die Autobahn ist ein wichtiges Element der Wirtschaftskraft." Pompidous Vision ist ein Paris der Avantgarde-Kunst, der Schnellstraßen und Wolkenkratzer. "Pompidou sagte, der Arc de Triomphe muss sich vor einem Wald von Hochhäusern abheben", so Eric Roussel, Historiker und Pompidou-Biograph. Für ihn ist der zweite Präsident der fünften Republik voller Widersprüche: "Er war ein Konservativer, aber doch ganz der Zukunft zugewandt."
Geboren wird Pompidou am 5. Juli 1911 in Montboudif, einem Dorf in der Auvergne, als Sohn eines Lehrer-Ehepaars. "Dass ich ein Provinzler bin, liegt auf der Hand", sagt Pompidou später. "Ich habe lange in Paris gelebt. Aber glücklich fühle ich mich vor allem auf dem Land." 1934 besteht er als Bester seines Jahrgangs das Auswahlverfahren für das höhere Lehramt. Der junge Studienrat liebt Poesie, Literatur, Latein und Griechisch. Als die deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschiert, geht Pompidou nicht in den Widerstand. Er bleibt Lehrer am Elitegymnasium Henri IV. in Paris. 1944 begegnet der 33-Jährige General Charles de Gaulle und wird einer seiner engsten Mitarbeiter in der provisorischen Regierung Frankreichs. Als sich de Gaulle 1946 vorübergehend aus der aktiven Politik zurückzieht, geht auch Pompidou - und macht Karriere als Direktor der Rothschild-Bank. Er und seine Frau Claude entdecken ihr Faible für schnelle Autos und das Jet-Set-Leben. 1962 wird Pompidou von de Gaulle, inzwischen Staatspräsident, zum Premierminister berufen. De Gaulle braucht ihn als Verhandlungsführer, um den Algerienkrieg zu beenden und die französische Kolonie in Nordafrika in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Im Mai 1968 schlittert Frankreich in die nächste Krise. Die Studenten rufen die Revolte aus und verbünden sich mit den Gewerkschaften. Pompidou meistert die Lage, indem er mit den Gewerkschaften verhandelt, ihnen Zugeständnisse macht und de Gaulle zu Neuwahlen rät. Tatsächlich schlägt die Stimmung um. Hunderttausende gehen auf die Straße, um Ruhe und Ordnung einzufordern. De Gaulles Stern sinkt, Pompidou löst ihn ab: Am 15. Juni 1969 wählen ihn die Franzosen zum Staatspräsidenten. Wie schon de Gaulle vertritt Pompidou die Devise: Europa ist gut, wenn Frankreich führt. Er ebnet den Briten den Weg in die Europäische Währungsgemeinschaft, um die Dominanz der Bundesrepublik auszugleichen. Innenpolitisch macht Pompidou Dampf: "Geliebtes, altes Frankreich! Die gute Küche! Die Folies-Bergères! [...] Die Haute-Couture! Das ist vorbei! In Frankreich hat eine industrielle Revolution begonnen!" Pompidou lässt ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichmachen. "Das ganze Seine-Ufer sollte zu einer Autostraße umgebaut werden", sagt Historiker Johannes Willms. "Als er dann das zweite Ufer in Angriff nehmen wollte, ist er gestorben. Und damals haben selbst die Atheisten gesagt: 'Gott hat Paris gerettet'."
Stand: 02.04.09