Stichtag

08. Januar 2007 - Vor 100 Jahren: Tod des Neurologen Paul Julius Möbius

Unbestreitbar, wenn auch weitgehend vergessen, hat Paul Julius Möbius Bedeutendes geleistet. Ihm verdankt die Neurologie unter anderem die Einteilung der Nervenkrankheiten in endogene und exogene, wesentliche Erkenntnisse zur Migräne, die Erforschung der Basedowschen Krankheit und des nach ihm benannten Möbius-Syndroms. Traurige Berühmtheit erreicht der Doktor für Nervenheilkunde und Elektrotherapie aber mit Sätzen wie "die Frau ist ein Mittelding zwischen Kind und Mann" und "der Instinkt macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher und heiter." Das nur 24 Seiten starke Traktat "Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes", Anfang 1900 veröffentlicht, sichert Paul Julius Möbius schon zu Lebzeiten einen Ehrenplatz im Kuriositätenkabinett der medizinischen Wissenschaft.
Der 1853 in Leipzig geborene Möbius entstammt einer Ehrfurcht gebietenden Ahnenreihe von Akademikern. Der Bedeutendste von allen, sein Großvater August Ferdinand, thront als berühmter Mathematiker und Astronom hoch oben über dem strebsamen Paul Julius, im Turm der Leipziger Sternwarte. Früh wird dem Enkel eingebläut, was von einem Möbius zu erwarten ist: Leistung, akademische Anerkennung, gesellschaftliche Stellung. Doch genau das bleibt dem 1876 promovierten Paul Julius - trotz aller unbestrittenen Leistungen - ein Leben lang verwehrt. Als komischer, ehrpusseliger Kauz eckt er überall an und macht sich Feinde im akademischen Betrieb. Vergeblich wartet er auf die fällige Berufung zum Professor und zieht sich zurück in den Schmollwinkel seiner Leipziger Privatpraxis.

Doch in dem stets Verschmähten gärt der große Anspruch an sich selbst, nach Ruhm und Anerkennung. Um aufzufallen, veröffentlicht Möbius eine Abhandlung nach der anderen und gerät durch seine Sucht nach Aufmerksamkeit zuweilen hart an die Grenze zum Dilettantenhaften. Die Resonanz ist gleich Null - bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts jene Publikation mit dem bewusst reißerischen Titel "Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes" erscheint. Mit einem Schlag ist Paul Julius Möbius eine europäische Berühmtheit, bekannt wie ein bunter Hund. Noch zu Lebzeiten des Autors erscheinen acht weitere Auflagen des fragwürdige Elaborats über die weibliche Psychologie, jeweils ergänzt mit zahlreichen, fast ausschließlich ablehnenden Rezensionen. Je heftiger die Kritik reagiert, umso wortgewaltiger und abwegiger begründet Möbius seine Thesen. Doch Anfang 1907 verlassen den an Krebs Erkrankten die Kräfte. Einsam und von aller Welt verhöhnt stirbt Paul Julius Möbius am 8. Januar in seiner Villa in der Leipziger Rosentalgasse.

Stand: 08.01.07