Aufbau Ost

Stichtag

8. März 1991 - Bundeskabinett beschließt den "Aufbau Ost"

Die Euphorie nach der Wiedervereinigung ist groß. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) verspricht in seiner berühmten Fernsehansprache vom 1. Juli 1990 blühende Landschaften in den neuen Bundesländern: "Noch nie waren wir besser vorbereitet als jetzt … Durch unsere gemeinsamen Anstrengungen werden schon in wenigen Jahren aus Brandenburg, aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt blühende Landschaften geworden sein." Anlass ist die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der beiden Teile Deutschlands. Die Politik in den Jahren nach der Wiedervereinigung ist geprägt von dem Wunsch, die Wirtschaft Ostdeutschlands solle schnellstmöglich das westdeutsche Niveau erreichen. Doch die ehemalige Planwirtschaft ist wesentlich maroder als gedacht; sie vollbringt nur ein Zehntel der BRD-Wirtschaftsleistung. Die Arbeitslosigkeit beträgt in einigen Regionen schnell 20 Prozent, die Konjunktur läuft nur schleppend an. Deswegen beschließt das Bundeskabinett am 8. März 1991 das "Gemeinschaftswerk Aufbau Ost", einen in der Geschichte beispiellosen Transferprozess von Geldmitteln.

Materielle Situation der Ostdeutschen bessert sich

Über den "Fonds Deutsche Einheit" fließen 82,2 Milliarden Euro in die neuen Bundesländer - allein zwischen 1990 und 1994. Der Bundestag muss Steuererhöhungen beschließen. 1995 tritt der Solidarpakt I in Kraft, der 2004 ausläuft und mit dem Solidarpakt II weitergeführt wird. Bis 2019 stellt der Bund weitere 156 Milliarden Euro bereit. Die Geldmittel werden zunächst vor allem in eine neue Infrastruktur investiert: Spaßbäder, Kläranlagen, Innenstadtsanierungen, Glasfasernetze. Und tatsächlich verbessert sich die materielle Situation der Ostdeutschen erheblich. Doch Unterschiede bleiben, vor allem weil Industrie- und Dienstleistungssektor nur langsam wachsen und der Bausektor ab Mitte der neunziger Jahre niedergeht. Das Einkommens- und Rentenniveau im Osten beträgt im Jahr 2010 75 Prozent des westdeutschen. Auch das Lohnniveau bleibt niedriger: Zahlen Arbeitgeber im Westen durchschnittlich 29,95 Euro je Stunde, sind es im Osten 21,09 Euro. Zudem wanderten rund 1,8 Millionen ostdeutsche Fachkräfte in den Westen, was das Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern bremste.

"Aufbau Ost" kostete bisher 1,2 Billionen Euro

Bereits 1992 prophezeien Wirtschaftsexperten, der Westen werde 140 Milliarden Euro in den Osten transferieren müssen, um den Aufschwung in Gang zu setzen. Eine drastische Fehleinschätzung: 2010 gibt das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) an, der Aufbau Ost habe bisher 1,2 Billionen Euro gekostet. Auch Helmut Kohl gibt später zu, sich verkalkuliert zu haben: "Ich habe damit kein Problem, es konkret zu sagen, … ja sicher habe ich mich in dem Punkt getäuscht." Einige Ökonomen sagen, es werde noch Jahrzehnte dauern, bis die neuen Länder den Anschluss an den Westen schaffen. Allein Thüringen und Sachsen rücken an Wachstumsregionen wie Bayern und Baden-Württemberg heran. Dennoch beurteilen die Mehrheit der Politiker den "Aufbau Ost" als wirtschaftlichen Erfolg. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagt: "Was man entdecken kann: Das Geld ist in aller Regel gut angelegt. Wenn ich mir die alten Innenstädte ansehe, da kann man sagen, es hat sich gelohnt." Und die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Deutschland wird es insgesamt nur gut gehen, wenn es auch den neuen Bundesländern gut geht." Und: "Die industrielle Basis ist gewachsen. Sie hat an Stabilität gewonnen. … Die ostdeutsche Wirtschaft ist auf einem guten Weg."

Stand: 08.03.2011

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