Zur Mitte des 19. Jahrhunderts ist Deutschland technisches Entwicklungsland. Politisch ein Flickenteppich aus Kleinstaaten, steht eine unüberschaubare Vielzahl an Währungen, Gewichten und Zöllen zudem einem gemeinsamen Markt entgegen.
Deutsche Ingenieure blicken deshalb neidisch auf England, wo ihre Kollegen in Personalunion mit Unternehmern die Industrialisierung längst entfesselt haben. In Deutschland hingegen fährt selbst die 1835 in Nürnberg eingeführte Eisenbahn, die den Bau von Stahlwerken und Kohlegruben, Schwerindustrie und Maschinenbau nationenweit beflügeln könnte, auf einzelstaatlichen Schienennetzen.
"Geistige Kräfte der Technik" bündeln
1846 rebellieren die Berliner Technik-Studenten gegen den preußischen Ausbildungsdrill und gründen den "Akademischen Verein Hütte", der sich jenseits des Hochschulalltags neben dem üblichen geselligen Veranstaltungen einer Studentenverbindung mit neueren wissenschaftlichen Publikationen zum Stand moderner Industrien beschäftigt. Von Nationalismus beflügelt, will die "Hütte" eine "Deutsche Technik" gründen, die über die Landesgrenzen hinweg zusammenarbeitet.
Aus den Bestrebungen der "Hütte" geht am 12. Mai 1856 bei einer Sitzung in Alexisbad im Harz der "Verein Deutscher Ingenieure" (VDI) hervor. Sein erklärtes Ziel ist es, "alle geistigen Kräfte der Technik zum gemeinsamen Wirken" zu bündeln: "zur gegenseitigen Anregung und Fortbildung im Interesse der gesamten Industrie Deutschlands".
Für Atomkraft, gegen Luftverschmutzung
Fortan setzt der VDI zahlreiche Neuerungen durch. Nicht zuletzt auf sein Betreiben hin entstehen 1866 die Dampfkesselüberwachungsvereine, aus denen später der TÜV hervorgeht. Der VDI entwickelt 1877 das in Grundzügen heute noch geltende deutsche Patentgesetz mit. Und er ist 1890 beteiligt an der Einrichtung der ersten Technischen Mittelschule Deutschlands in Köln: Vorläufer der heutigen Fachhochschulen. 1917 gehört er zu den Mitbegründern des Deutschen Normausschusses (DIN).
Im Nationalsozialismus wird der VDI gleichgeschaltet. Nach dem Zweiten Weltkrieg macht er sich für Atomkraft ebenso stark wie für die Reinhaltung der Luft. Heute hat der Verein rund 140.000 Ingenieurinnen und Ingenieure als Mitglieder. Er ist somit der größte technisch-wissenschaftliche Verein in Europa.
Stand: 12.05.2011
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