Madame de Sévigné ist untröstlich. Acht Tage lang hat sie geweint um ihre Tochter, so heftig, dass die Tränen auf den Boden flossen. Ihr "schöner Engel" Françoise-Marguerite ist dem Ehemann in die Provence gefolgt. "Euer Zimmer bringt mich um. Ich habe einen Wandschirm mitten hineinstellen lassen, damit der Anblick durchs Fenster auf die Stufe, von der ich Euch in die Karosse steigen sah, verstellt sei", wird sie später an die 24-Jährige im 600 Kilometer entfernten Grignan schreiben. "Ich fürchte mich vor mir selbst, wenn ich daran denke, wie ich damals nah daran gewesen bin, mich zu diesem Fenster hinauszustürzen".
Statt aus dem Fenster stürzt sich Marie de Sévigné in die Korrespondenz. Zwei bis drei Briefe pro Woche wird sie der Tochter in den nächsten Jahren schreiben.
Elegante Korrespondenz
Geboren wird Marie de Rabutin-Chantal am 5. Februar 1626 im Pariser Stadtpalais des Großvaters. Vater und Mutter sterben früh. Die reiche Verwandtschaft kümmert sich ausgiebig um die Ausbildung der Waisen, die so zu einer mehrsprachig versierten, kulturell gebildeten und schlagfertigen jungen Frau heranwächst. Aus der Ehe mit Henri de Sévigné, einem jungen Adeligen aus der Bretagne, geht Françoise-Marguerite hervor.
An ihrem 25. Geburtstag wird Marie de Sévigné Witwe und nutzt die neue Freiheit, um abwechselnd in Paris und in ihrem Schloss Les Rochers in der Bretagne Hof zu halten. Schon bald ist sie in den regionalen adeligen Kreisen als Gesprächspartnerin begehrt. Als ihre Tochter das Haus verlässt, lässt sie sie über Briefe an ihrem Leben teilhaben. Sie berichtet vom Hof des Sonnenkönigs, über Feste und Feldzüge, Mätressen und Minister, Skandale und Intrigen ebenso wie über die aktuelle Mode. Und sie tut es auf eine derart leichte und elegante Art und Weise, dass ihre Briefe bis heute entzücken.
Schatz der Weltliteratur
Nie spielt die Marquise de Sévigné mit dem Gedanken, ihre Briefe zu veröffentlichen. Zu stark ist ihre Abneigung dagegen, "von jedermann befingert zu werden". Und doch kursieren die intimen Schriftstücke bereits zu Lebzeiten in Abschriften. Ein früher amüsierter Leser ist Ludwig XIV., der 1661 nach der Verhaftung eines Financiers auf einige ihrer Briefe stößt. Schließlich gibt eine Enkelin die Briefe heraus. Bis heute sind rund 1.100 von ihnen bekannt – ein unermesslich reicher Schatz der Weltliteratur.
Am Ende bringt die besorgte Liebe zu ihrer Tochter Marie de Sévigné doch noch um. Als Françoise-Marguerite schwer erkrankt, zögert sie nicht, auf deren Schloss nach Grignan zu reisen und sie monatelang zu pflegen. Doch die Strapazen zehren die 69-Jährige aus. Sie stirbt 1696 auf dem Schloss ihrer Tochter.
Stand: 05.02.2011
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.05 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 5. Februar 2011 ebenfalls an Marie de Sévigné. Auch das "ZeitZeichen" gibt es einen Monat lang als Podcast.