Ende der dreißiger Jahre sind unzählige Frauen in den USA auf den Beinen. Sie pilgern zum Firmensitz des Chemiekonzerns DuPont, der soeben auf der New Yorker Weltausstellung den Prototypen seines Nylonstrumpfes vorgestellt hat. Jetzt sollen die ersten Exemplare verkauft werden.
Kurz nach der Sensationsmeldung sind alle Hotelzimmer der Umgebung ausgebucht. Denn nur wer eine Anschrift innerhalb der Stadtgrenzen vorweisen kann, darf bis zu drei Paar Strümpfe kaufen. Nach drei Stunden sind die 4.000 produzierten Exemplare ausverkauft.
"Was jetzt, ihr ollen Japsen?"
Vermutlich hat der amerikanische Chemiker Wallace Hume Carothers keine wohlgeformten Damenbeine vor Augen, als er versucht, eine künstliche Faser auf Erdöl-Basis herzustellen. Ausschlaggebend sind eher größere wirtschaftliche Interessen. Denn Japan, Hauptlieferant für Seide, versucht inzwischen, im asiatischen Raum zu expandieren. Die USA sehen ihre Handelsbeziehungen gefährdet. Carothers' Produkt soll dem Geschäft neue Impulse geben.
1935 ist es soweit. Mit Polyhexamethylenadipinamid gelingt Carothers eine Substanz, die sich zu dünnen und sehr dehnbaren Fäden ziehen lässt. Temperaturbeständig ist der Stoff, leicht zu waschen und beinahe unverwüstlich. "Now You Lousy Old Nipponese?" – "Was jetzt, ihr lausigen ollen Japsen?" – soll der Erfinder laut Legende freudestrahlend ausgerufen haben: Der Name Nylon, zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der Wörter, ist geboren.
Herzensbrecher Nylonstrumpf
Etwa zeitgleich zu Nylon entwickelt Paul Schlack in Deutschland die Kunstfaser Perlon, die bald als Strumpfstoff der IG Farben Furore macht. 1938 tauschen die beiden Firmen Patente aus und beschließen, sich den gewaltigen Markt untereinander aufzuteilen. Dann aber bemächtigt sich Hitlers Kriegsindustrie des Materials, um daraus Fallschirme und Flugzeugreifen zu fabrizieren. Das deutsche Damenbein bleibt in Wollsocken stecken – bis amerikanische GIs mit dem Importschlager Nylonstrumpf auch deutsche Fräuleinherzen brechen.
Erst 1949 gelingt es Schlack, wieder Perlon herzustellen, der Wettlauf der Kunstfasern wird neu aufgerollt. Auch wenn DuPont versucht, sich neue Märkte zu erobern - etwa mit Nylon-Sohlen an jenen Fußballschuhen, mit denen die deutsche Nationalmannschaft 1974 Weltmeister wird: Heute ist der Weltmarktanteil von Perlon etwa doppelt so groß wie der von Nylon. Ohnehin ist die große Perlon- und Nylonzeit durch die Entwicklung neuer, atmungsaktiverer Kunstfasern inzwischen Geschichte.
Stand: 17.12.10