Vor rund 50.000 Jahren war das Mittelmeer noch nicht in seiner jetzigen Größe vorhanden; statt unübersehbarer Wassermassen gab es lediglich zwei Binnenseen - von dieser Idee ist jedenfalls der bayerische Architekt Herman Sörgel überzeugt. In seiner Vorstellung konnte man trockenen Fußes von der heutigen Halbinsel Italien nach Afrika gelangen. Paradiesisch fruchtbar war das Tiefland hinter dem spanisch-marokkanischen Riegel, bevor die biblische Sintflut in Gestalt des Atlantiks über das Land hereinbrach. Diese Sintflut, die es so nie gegeben hat, will Sörgel rückgängig machen - und damit das Mittelmeer, das in Wirklichkeit ein paar Millionen Jahre älter ist, trockenlegen. Seit den späten 1920er Jahren ist er von dieser fixen Idee wie besessen. Der Architekt, der zu bereits theoretische Abhandlungen zu anderen Themen veröffentlicht hat, widmet seine Energie nun ganz dem Projekt namens "Atlantropa".
Geboren wird Sörgel am 2. April 1885 in Regensburg. Sein Vater ist als Leiter der Bayerischen Oberbaubehörde beteiligt am Bau des Walchensee-Kraftwerks, einem Meilenstein in der Nutzung der Wasserkraft. Herman Sörgel plant in größerem Maßstab. Um den wachsenden Völkern Europas Lebensraum zu schaffen und so den Frieden zu sichern, will er im Zuge seines "Atlantropa"-Projekts die Zuflüsse des Mittelmeers absperren und das eingeschlossene Wasser verdunsten lassen. Zudem soll sich die Sahara durch Flutungen von Wüstenabschnitten unterhalb des Meeresspiegels in eine blühende Landschaft verwandeln. Eine Million Arbeiter, die rund um die Uhr binnen zehn Jahren einen Damm bei Gibraltar errichten sollen, plant Sörgel ein. Die Frage, wie diese zu beschaffen sind, lässt er allerdings unbeantwortet.
Den Nationalsozialisten, die Sörgels Idee ernst nehmen, ist der hinter dem Plan stehende paneuropäische Gedanke des Architekten suspekt. Eindrucksvoll warnt ein erfolgreicher Nazi-Propagandafilm von 1936 vor den unabsehbaren Folgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg findet das Atlantropa-Projekt innerhalb der gerade neu gegründeten UNO freundlichen Zuspruch. Offenbar imponiert die Idee, die Welt neu ordnen und den Damm bei Gibraltar unter UNO-Aufsicht stellen zu wollen. Aber es bleibt bei Lippenbekenntnissen einzelner Politiker. Herman Sörgels Projekt bleibt unvollendet. Der Architekt stirbt 1952 in München.
Stand: 02.04.10