Eine schier unglaubliche Nachricht macht im Winter 1710 unter Europas Hochadel die Runde. Von der Leipziger Herbstmesse heimkehrende Kaufleute melden, dass August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, am 23. Januar 1710 die Gründung einer Porzellan-Manufaktur verfügt hat. Seit Marco Polo 400 Jahre zuvor aus China die ersten exotischen Kunstwerke aus jener geheimnisvoll weiß schimmernden Keramik mitbrachte, hat niemand im Abendland etwas auch nur annähernd Gleichwertiges herstellen können. So gehören Tafelgeschirre und Figuren aus Porzellan zu den seltensten Kostbarkeiten, mit denen sich nur die reichsten Könige und Fürsten schmücken können. Kein Wunder also, dass Kurfürst August, ebenso mächtig wie prunksüchtig und daher immer knapp bei Kasse, den Namen des Erfinders seines "weißen Goldes" als Staatsgeheimnis hütet: Johann Friedrich Böttger.
Der Apothekerlehrling und Alchimist Böttger sorgt 1701 zunächst in Berlin für Aufsehen. Mit seiner Behauptung, aus geringwertigem Material Gold herstellen zu können, weckt der 1682 geborene Sohn eines Münzmeisters das Interesse von König Friedrich I. Einer gewaltsamen Vereinnahmung durch den Preußen-Herrscher entgeht Böttger durch die Flucht ins sächsische Wittenberg – und gerät vom Regen in die Traufe: Gegen Friedrichs heftigen Protest setzt ihn August der Starke in Dresden fest. Auf der Jungfernbastei von der Außenwelt streng abgeschirmt, soll Böttger Augusts chronisch leere Schatullen mit Gold füllen. Als der Erfolg ausbleibt, wird ihm 1704 der Naturforscher Ehrenfried Walther von Tschirnhausen als Aufpasser zur Seite gestellt. Der angesehene Physiker und Mineraloge kann Böttger dazu bewegen, von seinen Gold-Illusionen abzulassen, um durch eine wissenschaftliche Systematisierung der komplizierten Brennvorgänge dem Geheimnis der Porzellan-Herstellung auf die Spur zu kommen.
Im Jahr 1705 lässt August der Starke die Brennwerkstatt aus Sicherheitsgründen in die Gewölbe der Meißener Albrechtsburg verlegen. Mit dem Versuch, Tonerden, die im Ofen zu hartem porösen Material brennen, mit solchen zu vermischen, die sich unter Hitzeeinwirkung verflüssigen, gelingt Böttger im folgenden Jahr die Produktion einer neuartigen roten Keramik. Sie wird später unter dem Namen Böttger-Steinzeug berühmt. Nachdem der Metallurge Gottfried Pabst von Ohain die Verwendung von "weißer Erde", dem so genannten Kaolin, angeregt hat, kann Johann Friedrich Böttger seinem Herrscher dann Ende 1708 das erste in Europa produzierte weiße Porzellan vorführen – für August so wertvoll wie pures Gold. Seine Qualität erweist sich sogar als noch höher als die des weicheren chinesischen Porzellans. Um den Herstellungsprozess geheim zu halten, wird Böttger nach Gründung der "Königlich-Polnischen und Kurfürstlich-Sächsischen Porzellan-Manufaktur" mit seinen wenigen Mitarbeitern vereidigt und unter Arrest gestellt. Der Erfinder des europäischen Porzellans wendet sich wieder seinen alchimistischen Versuchen zur Goldherstellung zu. Am 13. März 1719 stirbt Johann Friedrich Böttger mit 37 Jahren an den Folgen seiner Experimente mit hochgiftigen Substanzen.
Stand: 23.01.10