Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien

Stichtag

27. August 2010 - Vor 35 Jahren: Haile Selassie stirbt in Addis Abeba

Haile Selassie herrscht fast vier Jahrzehnte über Äthiopien. Er ist der letzte Kaiser einer jahrtausendealten Dynastie - ein schillernder Monarch, verliebt in Pomp und Selbstdarstellung. Von einigen wird er sogar als göttliche Inkarnation Jesu verehrt. Der Reggae-Musiker Bob Marley komponiert einige Tage nach Selassies Tod das Lied "Jah live" ("Gott lebt"). Es drückt aus, was die Rastafaris aus Jamaika glauben: Selassie ist ihr Gott und ein Gott kann nicht sterben. Sie haben sich nach ihm benannt: "Ras" (Fürst) ist sein Titel und "Tafari" sein Geburtsname, bevor er als Haile Selassie ("Macht der Dreifaltigkeit") 1930 den äthiopischen Thron besteigt. Selassies Krönung scheint eine Weissagung zu bestätigen: "Schaut nach Afrika, wenn ein schwarzer König  gekrönt wird, dann ist der Tag der Erlösung nahe", prophezeit Marcus Garvey in den 1920er Jahren. Der Publizist aus Jamaika ist einer der Initiatoren der panafrikanischen Bewegung, die eine Rückkehr der ehemaligen Sklaven in ihre Heimat fordert.

Verbot der Sklaverei

Selassie selbst lehnt die Huldigung jedoch ab: Das Letzte, was er gebrauchen könne, sei eine Gruppe kiffender Jünger. Dabei hat er einen ausgeprägten Sinn für Titel: "Vaterfigur des modernen Afrika", "siegreicher Löwe vom Stamm Juda", "König der Könige". Für seine Kritiker ist der am 23. Juli 1892 geborene Selassie ein absolutistischer Despot, seine Fürsprecher schätzen ihn als verlässlichen Partner. Er gilt lange Zeit als moralisches Gewissen Afrikas. Er erlässt 1931 die erste geschriebene Verfassung, die das Land zu einer konstitutionellen Monarchie macht, und er verbietet die Sklaverei. Die Reformen werden beendet, als 1935 das faschistische Italien Äthiopien überfällt und Selassie ins britische Exil geht. Bei einer Rede vor dem Völkerbund in Genf beschwört er 1936 die Gefahr eines Weltkrieges: "Die Katastrophen sind unausweichlich, wenn die großen Staaten die Vergewaltigung eines kleinen Landes dulden." Als die Briten 1941 während des nun tatsächlich eingetretenen Zweiten Weltkrieges Äthiopien besetzten, kehrt Selassie auf seinen Thron zurück.

Erfolgreicher Dipomat und willkürlicher Herrscher

Als geschickter Taktiker nähert sich Selassie nach Kriegsende dem Westen an, bemüht sich später aber auch um gute Beziehungen zur Sowjetunion. Die Vereinten Nationen in New York würdigen Selassie als Vorkämpfer der kollektiven Sicherheit. 1963 gelingt ihm ein diplomatisches Meisterstück: Die von ihm einberufene Konferenz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba führt zur Gründung der Organisation für afrikanische Einheit (OAU), die bis 2002 besteht. Die weltweite Anerkennung Selassies lenkt ab von seinen wachsenden innenpolitischen Schwierigkeiten: Die Bodenreform kommt nicht voran, Soldaten fordern bessere Bezahlung, Studenten rebellieren gegen Unterdrückung und Bevormundung. Oppositionelle verschwinden spurlos.

Die Verfassung besteht nur auf dem Papier, niemand kontrolliert den willkürlich herrschenden Selassie. Die jahrelange Auseinandersetzung mit Eritrea, dessen Bevölkerung vergeblich nach Autonomie strebt, und eine verheerende Hungersnot belasten den Staatsapparat zusätzlich. 1974 putscht die Armee. "Hängt Selassie" fordert der Mob, aber die Putschisten stellen ihn vorerst in Addis Abeba unter Hausarrest. Rund ein Jahr später, am 27. August 1975, wird Selassie tot in seinem kleinen Palastzimmer aufgefunden. Offiziell soll der 83-Jährige an den Folgen einer Prostataerkrankung gestorben sein. Vermutlich wurde er aber von Soldaten mit einem Kissen erstickt.

Stand: 27.08.10