Sie ist die Protagonistin des spekakulärsten deutschen Kriminalfalls der Nachkriegszeit: Vera Brühne. Wie ein Mannequin tritt sie im Gerichtssaal auf: elegant, schlank, blond, mit hellem Mantel, hochgestelltem Kragen und Tasche unterm Arm. Am 4. Juni 1962 wird sie zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Brühne soll - gemeinsam mit ihrem Bekannten Johann Ferbach -den Zahnarzt Otto Praun und dessen Lebensgefährtin Elfriede Kloo in Pöcking am Starnberger See ermordet haben. "Fehrbach, Johann, geboren am 9.8.1913 in Köln; Brühne, Vera Maria, geborene Kohlen, geboren am 6. 2. 1910 in Essen-Kray; sind schuldig zweier in Mittäterschaft begangener Verbrechen des Mordes. Sie werden zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt", liest Landgerichtsdirektor Klaus Seibert vor.
"Aber ich bin doch unschuldig." Das sind ihre letzten Worte vor Gericht. Die ganze Bundesrepublik fragt sich: War sie's oder war sie's nicht? Bundestagsabgeordndete, Richter, Journalisten – jeder hat eine Meinung, hält Brühne entweder für eine Doppelmörderin oder für ein Justizopfer. Der "Stern" erklärt sie nach einem Interview mit ihrer Tochter Sylvia für schuldig; der "Spiegel" zerpflückt das Urteil auf 65 Seiten: "Verletzt wurde mit dem Prozess gegen Johann Ferbach und Vera Brühne unser aller Recht, unser alle Sicherheit."
Vera Brühne wird am 6. Februar 1910 geboren. Sie ist die Tochter von Ludwig Kohlen, dem damaligen Bürgermeister der Gemeinde Kray, später ein Stadtteil von Essen. Vera Kohlen heiratet zunächst den Schauspieler Hans Cossy, der später in der Science-Fiction-Fernsehserie "Raumpatrouille Orion" mitspielt. Nach der Scheidung ist sie in zweiter Ehe verheiratet mit dem Schlager- und Filmkomponisten Lothar Brühne. Auch diese Ehe wird geschieden. Sie kümmert sich wenig um die Moralvorstellungen in der prüden Wirtschaftswunderzeit. Sie flirtet gern, lädt Männer zu sich nach Hause ein und nimmt es mit der Wahrheit oft nicht genau. Sie gilt in den Illustrierten als "Lebedame", als "Frau ohne Gewissen". Und ist nun die prominenteste deutsche Lebenslängliche.
Doch immer wieder gibt es Zweifel an dem Urteil. Der Arzt Otto Praun sei in Waffengeschäfte des Bundesnachrichtendienstes verwickelt gewesen und in der Mordnacht von einem Referenten des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß erschossen worden, lautet eine von unzähligen Verschwörungstheorien. Franz Josef Strauß sieht sich gezwungen, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, er hätte "nicht das Geringste" mit den Morden zu tun. Rechtsexperten sind sich heute einig, dass die Unschuld von Brühne zwar nicht bewiesen ist, aber sie bei der dünnen Indizienlage und den zweifelhaften Zeugen nie hätte verurteilt werden dürfen. Nach 18 Jahren Haft wird Vera Brühne 1979 von Franz Josef Strauß, inzwischen Ministerpräsident, begnadigt. Johann Fehrbach stirbt bereits 1970 in der Haft an Herzversagen. Vera Brühne stirbt am 17. April 2002 im Alter von 91 Jahren. Sie beteuert ihre Unschuld bis zum Schluss.
Stand: 06.02.10