Stichtag

28. Oktober 2010 - Vor 110 Jahren: Zweite Olympische Spiele enden in Paris

Ende des 19. Jahrhunderts entwirft der französische Baron Pierre de Coubertin ein Ideal: Internationale Sportwettbewerbe sollen für Frieden und Respekt zwischen den Ländern sorgen. Das auf Coubertins Initiative gegründete "Internationale Olympische Komitee" (IOC) organisiert 1896 in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit. Bei der Schlussfeier kündigt Coubertin an, in vier Jahren werde Olympia in Paris noch schöner, noch besser, noch atemberaubender. Doch nichts davon trifft ein: Die Zweiten Olympischen Spiele werden zum Anhängsel der Weltausstellung, die am 14. April 1900 in der französischen Hauptstadt von Staatspräsident Émile Loubet eröffnet wird. Die Sportwettbewerbe finden ohne Auftakt, ohne Schlussfeier und ohne einheitlichen Ablauf statt. Sie ziehen sich zudem über rund fünf Monate hin: Am 20. Mai 1900 beginnen die ersten Segelwettbewerbe, den Schlusspunkt setzt am 28. Oktober 1900 das Rugby-Finale Frankreich gegen Deutschland.

Technik vor Sport

IOC-Präsident Coubertin will ursprünglich eigenständige Spiele, aber die Veranstalter der Weltausstellung dulden keine Konkurrenz und drängen die Wettbewerbe an den Rand. Sie sprechen zunächst nicht von Olympischen Spielen, sondern von Weltmeisterschaften. Im Zentrum der Ausstellung steht die Technik: Die erste Metrolinie nimmt ihren Betrieb auf. Am Eiffelturm erstrahlt in 60 Metern Höhe ein begehbares Modell des Universums. Es gibt künstlich angetriebene Wasserfälle und bombastische Pavillons. Die rund 50 Millionen Besucher der Ausstellung lassen sich auch von drahtloser Telegrafie, Glühbirnen und der ersten Rolltreppe faszinieren. Aber nur wenige begeistern sich für sportliche Wettkämpfe - zumal diese miserabel organisiert sind.Zwar gehen rund 1.000 Athleten aus 24 Nationen an den Start, aber sie sind "vollkommen auf sich allein angewiesen", wie die Zeitung "Sport im Bild" berichtet: "Kein Mensch empfing die fremden Teilnehmer, die fast alle weite Reisen hinter sich hatten, niemand besorgte ihnen Quartiere, auch Auskunft über die Kämpfe und die Zusammenstellung der Programme erhielten sie nicht." Es finden Sprints auf notdürftig präpariertem Rasen oder Hindernis-Schwimmen in der kalten Seine statt. Beim Hammer- und Diskuswerfen stehen Bäume im Weg. Manche Sieger erhalten Medaillen, andere nur Ramsch. So berichtet Kurt Doerry, der beim 100-Meter-Lauf startet: "Der Franzose Saint-Cyr kam in den Besitz einer Busennadel, der man ihre Herkunft aus einem 27-Kreuzer-Bazar ansieht."

Im Nachhinein olympisch

Erst als die Weltausstellung beendet ist, entschließen sich deren Verantwortliche, die sogenannten Weltmeisterschaften doch noch offiziell als olympisch anzuerkennen. Coubertin selbst ist den Spielen fern geblieben, weil ihm die Organisation aus der Hand genommen wurde. Auch vier Jahre später finden die Wettbewerbe im Rahmen einer Weltausstellung statt - wieder nur als monatelanges Unterhaltungsprogramm. Im nordamerikanischen St. Louis wird 1904 sogar Tabakweitspucken olympisch. Schon in Paris gab es ungewöhnliche Wettkämpfe wie Ballonweitfahren und an sieben Tagen mit dem Lastwagen 50 Kilometer durch die französische Hauptstadt kurven.

Als das IOC die Spiele für 1908 nach Rom vergibt, dort aber nichts vorbereitet wird, bietet der englische König London als Austragungsort an. Für die jungen Spiele ist das die Rettung.

Stand: 28.10.10