Stichtag

10. August 2010 - Vor 85 Jahren: Die Reform der Einkommensteuer

Kaum gegründet, steht die Weimarer Republik bereits vor dem Bankrott. Der Weltkrieg hat einen Schuldenberg von 156 Milliarden Reichsmark hinterlassen, immense Reparationen und Wiederaufbaukosten sind zu bewältigen, doch mit Einnahmen ist kaum zu rechnen: Den Löwenanteil am Steueraufkommen streichen die deutschen Länder ein. Sofort nach Amtsantritt im Sommer 1919 revolutioniert der neue Finanzminister Matthias Erzberger das gesamte Fiskalwesen: Ab sofort unterliegen Steuergesetzgebung und Finanzverwaltung der Hoheit des Reichs. Neben drastischen Einkommens- und Vermögenssteuern führt Erzberger Abgaben auf Erbschaften, Luxus- und Konsumgüter sowie die direkt vom Arbeitgeber einzuziehende Lohnsteuer ein. Damit schafft der Zentrumspolitiker unter dem Druck des drohenden Staatsbankrotts die erste reichseinheitliche Steuergesetzgebung seit 1871.

Attentat und Inflation

Erzberger will das Vermögen umverteilen und soziale Gerechtigkeit erzeugen. Doch Steuersätze bis zu 65 Prozent bewirken mächtige Widerstände der Wohlhabenden, Kapitalflucht und Steuerhinterziehung. Zudem stellt die wuchernde Inflation den Staat vor nahezu unlösbare Probleme. Die Notenpresse läuft ohne Pause, um die Republik am Leben zu halten. Finanzminister Erzberger, von Deutschnationalen als "Vaterlandsverräter" verunglimpft, muss bereits im Frühjahr 1920 zurücktreten. Im August 1921 wird er während eines Urlaubs im Schwarzwald von rechten Freikorps-Offizieren erschossen. Der Hyperinflation – eine Verkäuferin erhält zuletzt einen Wochenlohn von über 400 Milliarden Reichsmark – macht erst die Währungsreform von 1923 ein Ende. Mit der Einführung der Rentenmark erhält Deutschland endlich eine stabile Währung.

Einführung der Lohnsteuerkarte

Radikal saniert der neue Finanzminister und baldige Reichskanzler Hans Luther nun den zuletzt mit 191.580.465.422 Milliarden Reichsmark verschuldeten Haushalt. Bereits 1925 ist das Ziel erreicht: Das vergangene Haushaltsjahr schließt erstmals mit einem kleinen Überschuss ab. Um Investitionen anzuregen, müssen nun vor allem die vermögenden Steuerzahler entlastet werden. Dies geschieht mit der Steuerreform vom 10. August 1925, die den Beginn der kurzen Blütezeit der Weimarer Republik markiert. Luther senkt den Spitzensteuersatz auf 40 Prozent und vereinfacht die bisher umständlich durch das Kleben von Marken dokumentierte Einziehung der Lohnsteuer: durch Einführung der Lohnsteuerkarte. Die Struktur des nun etablierten Steuerwesens überdauert nicht nur das Ende des Weimarer Staates und das folgende Dritte Reich. Auch nach 1945 fußt das bundesrepublikanische Steuerwesen wieder auf den von Matthias Erzberger eingeleiteten Reformen der 1920er Jahre.

Stand: 10.08.10