Emmett Till aus Chicago ist ein aufgeweckter, fröhlicher Junge von 14 Jahren. Als ihn sein Onkel einlädt, im Juli 1955 die Ferien bei ihm in Money, Mississippi, zu verbringen, ist er begeistert. Emmetts Mutter ist weniger erfreut. Denn im Süden herrscht strenge Rassentrennung. So gibt sie ihrem Sohn vor der Abfahrt die wichtigsten Verhaltensregeln mit auf den Weg: den Blick senken, wenn eine weiße Frau vorübergeht; die Straßenseite wechseln; und, vor allem: keine vorlauten Bemerkungen.
Gefoltert und ermordet
Derartige Beschränkungen sind Emmett aus seiner Heimatstadt nicht bekannt. Und so findet er nichts dabei, als er einer weißen Ladenbesitzerin - eine ehemalige Schönheitskönigin der Highschool - hinterherpfeift. Mehrere Tage passiert nichts, dann wird Emmetts Onkel am 28. August 1955 aus dem Schlaf gerissen. Der Ehemann der Südstaatenschönheit und sein Halbbruder verschaffen sich Zutritt zum Haus und zerren Emmett aus dem Bett. Vor dem Haus steht ein Truck, eine Frauenstimme sagt: "Ja, das ist er." Der Junge wird in den Wagen gestoßen.
Drei Tage später findet ein Angler die aufgedunsene Leiche Emmetts im Fluss. Seine Augen sind nicht mehr in ihren Höhlen, ein Ohr und mehrere Zähne fehlen, die Nase gleicht einer knochenlose Masse. Die Zunge wurde herausgeschnitten und wieder in den Mundraum gestopft. Um den Hals windet sich Stacheldraht, befestigt an einer Entkörnungmaschine aus der Baumwollproduktion.
Geständnis für die Zeitung
Der Sheriff von Money, Mississippi, drängt auf eine schnelle Beerdigung der Leiche. Selbstjustiz an Schwarzen gilt immer noch als Kavaliersdelikt. In Chicago sieht nicht nur die Presse dies anders. Die älteste und einflussreichste Bürgerrechtsorganisation der USA, die NAACP, nimmt sich des Falles an. Emmetts Mutter lässt ihren Sohn exhumieren und nach Chicago bringen. Tausende Menschen reihen sich in den Kondolenzzug ein. In Money, Mississippi, reisen derweil auch hochrangige Politiker an, um dem Prozess gegen die Mörder zu verfolgen.
Dort versteht man ob des Interesses die Welt nicht mehr. Tatsächlich unterscheidet sich der Fall Emmetts an Grausamkeit kaum von 4.000 anderen Fällen von Lynchings, die die NAACP dokumentiert hat.
Gesellschaftlich geächtet
Im Prozess werden die Angeklagten trotz belastender Aussagen von der weißen Jury freigesprochen. Nach dem Urteil verkaufen sie ihr volles Geständnis an eine Zeitung: Nach US-Recht können sie für eine Tat nicht noch einmal verurteilt werden. Aber das Wertesystem der USA hat sich gewandelt, die Dreistigkeit ist selbst den Weißen zu viel. Die Täter werden geächtet und von ihren Familien verlassen. Sie sterben in völliger Einsamkeit.
Stand: 28.08.10