Vier Jungen im Alter von acht bis dreizehn Jahren hat er vergewaltigt und auf bestialische Weise ermordet: Jürgen Bartsch, der wohl bekannteste Sexualstraftäter der Nachkriegszeit. Seit 1971 sitzt er für seine Taten in einer geschlossenen Klinik in Haft. Eine Heilungsaussicht für seine Zwangsvorstellungen sexueller Gewalt gibt es nicht. So entschließt sich Bartsch 1976 zu einer Operation: Er will sich kastrieren lassen, um seine Triebe los zu werden.
Die Operation möglich macht ein Gesetz, das sieben Jahre zuvor, am 15. August 1969 verkündet wurde. Es erlaubt die Kastration als Maßnahme gegen einen abnormen Geschlechtstrieb. Bei der Operation werden entweder die Hoden ganz entfernt oder nur die Keimdrüsen darin. Für beides bedarf es der Zustimmung des Betroffenen. Damit grenzt sich das Gesetz gegen die Zwangskastrationen der NS-Zeit ab.
Dennoch ist das Gesetz über freiwillige Kastration bis heute umstritten. Psychologen kritisieren die zugrunde liegende Reduktion von Sexualität auf die Hormonausschüttung und bezweifeln die Wirksamkeit der Operation. "Sie können Phantasien und Erinnerungen nicht töten", sagt etwa Friedrich Leidinger, Psychiater und Psychotherapeut beim Landschaftsverband Rheinland. "Gestörtes Verhalten lässt sich nicht wegschneiden."
Ob der Eingriff Jürgen Bartsch geholfen hätte, bleibt offen. Bartsch stirbt während des Eingriffs an einer falschen Narkose. Auf einen anderen Fall mit schlimmen Folgen können die Kritiker jedoch verweisen: Klaus Grabowski, ein verurteilter Sexualtäter, wird Anfang der 80er Jahre nach einer Kastration aus der Haft entlassen. Kurz darauf vergewaltigt und ermordet er ein siebenjähriges Mädchen. Die Mutter des Opfers erschießt ihn später im Gerichtssaal. Heute kommt das Kastrationsgesetz in NRW noch etwa alle drei bis vier Jahre zur Anwendung.
Stand: 15.08.04