Eine Basslinie ertönt, darüber schwebt eine Melodie und auch ein dritter Ton scheint zu erklingen, fast wie ein Akkord. Auf der Bühne steht aber nur einer: Albert Mangelsdorff mit seiner Posaune. Zu den Olympischen Spielen in München 1972 wagt Mangelsdorff - damals gilt er bereits als Erneuerer des Posaunenspiels - als einer der ersten Blechbläser einen Soloauftritt ganz ohne Band. Mit seinem mehrstimmigen Spiel entlockt er der Posaune nie gehörte Klänge. Albert Mangelsdorff erklärt wie die Vielstimmigkeit zu Stande kommt: "Man bläst einen Ton und singt darüber einen anderen Ton. Bei den meisten Kombinationen entsteht durch den Zusammenklang ein dritter Ton, also oft eine Dreistimmigkeit." Obwohl Albert Mangelsdorff diese Technik nicht erfunden hat, entwickelt er sie weiter – bis er ein Konzert ganz allein bestreiten kann. Als erster Blechbläser im Jazz überhaupt veröffentlicht er 1972 auch eine Soloplatte, "Trombirds". Heute gehört das multiphone Spiel zum Standardrepertoire junger Posaunisten.
Von der Gitarre zur Posaune
Geboren wird Mangelsdorff am 5. September 1928 in Frankfurt am Main. Als sein älterer Bruder Emil Anfang der 40er Jahre Platten mit nach Hause bringt, entdeckt er den Jazz. Während des Zweiten Weltkriegs gilt Jazz im Deutschland des Nationalsozialismus als "entartete Musik". Nach dem Krieg jedoch entwickelt sich Frankfurt mit seinen vielen amerikanischen Soldatenklubs zur Jazzhochburg. 1947 beginnt Mangelsdorff eine Karriere als Berufsmusiker. Er spielt Rhythmusgitarre in einer Bigband, das Gitarrespielen hat er sich selbst beigebracht. Gleichzeitig nimmt er Posaunenunterricht bei dem Soloposaunisten der Frankfurter Oper und wechselt zwei Jahre später auf das Blechblasinstrument. Bald macht er sich als Posaunist einen Namen, 1958 tritt er beim Newport Jazzfestival in den USA auf, dem bedeutendsten der Welt. Die Begegnung mit den großen Stars der internationalen Jazz-Szene zeigt ihm: Er muss vor allem einen unverwechselbaren, persönlichen Ausdruck auf dem Instrument finden.
Sanfter Revolutionär
1961 gründet er sein Albert Mangelsdorff Quintett, drei Bläser, Bass und Schlagzeug. Die Gruppe nimmt mehrere Schallplatten auf, vor allem "Tension" gilt als Schlüsselwerk und Inspiration für viele deutsche Jazzmusiker. In den folgenden Jahren spielt er vermehrt Free Jazz, in dem die traditionellen musikalischen Regeln aufgelöst werden. Unter anderem tritt er mit Stars wie dem Pianisten Chick Corea, dem Cool Jazz-Saxophonisten Lee Konitz oder dem Bassisten Jaco Pastorius auf. Publikum, Kollegen und Kritiker verehren seine Kunst gleichermaßen. Jazztrompeter Manfred Schoof bezeichnet ihn als sanften Revolutionär und Kontrabassist Dieter Ilg als introvertierten Leidenschaftler. Mehrfach wird er zum "Europäischen Jazz-Musiker des Jahres" gewählt. Der Weltstar Mangelsdorff tritt dennoch immer bescheiden und ohne Allüren auf. "Ich denke, dass es eine ganze Menge guter Leute auf meinem Instrument gibt. Es ist mir eher unangenehm, so was wie Weltbester oder Nummer Eins genannt zu werden." Am 25. Juli 2005 stirbt Albert Mangelsdorff im Alter von 76 Jahren in Frankfurt an Leukämie. Bereits seit 1994 verleiht die Union Deutscher Jazzmusiker alle zwei Jahre den Deutschen Jazz-Preis: den Albert-Mangelsdorff-Preis.
Stand: 25.07.10