Um 1860 begibt sich ein Lehrer am Garnierschen Knabeninstitut im hessischen Friedrichsdorf ans Basteln. In seiner Freizeit konstruiert er einen Apparat, der durch elektrische Impulse Töne transportieren kann. Der Lehrer heißt Johann Philipp Reis. Mit seiner Erfindung will er die Funktionsweise des menschlichen Gehörs nachstellen.
Die Idee liegt in der Luft. Schon 1854 überlegte der Pariser Telegrafenbeamte Charles Bourseul, man könne "die Sprache durch die Elektrizität übertragen" und dann "in Wien sprechen und in Paris verstanden werden". So weit kommt Reis nicht. Er konstruiert eine Membran, die wie das Trommelfell im Ohr auf Tonschwingungen reagiert. Die Membranschwingungen öffnen und schließen einen elektrischen Schalter, und dessen Impulse werden über eine Stromleitung wieder auf eine Membran übertragen. Das funktioniert für einfache Töne ganz gut. Sprache ist eher schlecht zu verstehen.
Aber Reis hat noch ein Problem: Er ist kein anerkannter Wissenschaftler. Am 7. Januar 1834 in Gelnhausen als Bäckerssohn geboren, wurde er früh Waise. Sein Vormund zwang ihn, eine Kaufmannslehre zu machen. Später schafft er es zum Lehrer ohne Hochschulabschluss. Als er seine Erfindung, die er "Telephon" (Ferntöner) nennt, veröffentlichen will, nimmt keine physikalische Zeitschrift den Aufsatz an. Bei einer Vorführung im Jahr 1864 schaut der Industrielle Werner von Siemens zu und meint: "Mit dem Gerät kann man nichts anfangen."Für diesen Satz wird er sich später selbst einen Esel nennen. Denn während Reis weiter am Knabeninstitut unterrichtet, gelangen Nachbauten seines Apparates in die ganze Welt und regen andere Erfinder an. Eine Kopie wird schon 1862 auf der Weltausstellung in London gezeigt. Reis kann von diesem Erfolg nicht profitieren. Ähnlich geht es Antonio Meucci in den USA. Auch er baut ein Telefon, aber die Telegrafengesellschaft lehnt die Vermarktung ab. Dann greift Alexander Graham Bell die Idee auf und verbessert sie durch den Einsatz einer Magnet-Spule. Bell hat außerdem Geschäftssinn und einen Patentanwalt zum Schwiegervater. Der meldet seine Erfindung für die USA an - nur wenige Stunden vor dem Konkurrenten Elisha Gray. Das geschieht 1876. Da ist Johann Philipp Reis schon zwei Jahre tot, gestorben an Tuberkulose.
Stand: 07.01.09