Die Geschichte des berühmtesten Wiener Hotels beginnt mit einer Schokoladentorte. Im Jahr 1832 hat Fürst von Metternich wichtige Gäste zu bewirten, doch der Mehlspeisenkoch fehlt. So darf der junge Kochschüler Franz Sacher nach eigenem Rezept eine Torte aus Schokolade, Marillenmarmelade und Schlagsahne kreieren, die nicht nur den mächtigsten Mann Österreichs und dessen Gäste entzückt; ganz Wien ist von Stund an verrückt nach Sachertorte. Als sein Sohn Eduard 1876 gegenüber der Hofoper ein First-Class-Hotel eröffnet, wird die Sachertorte das Markenzeichen des Hauses. Der ganz große Erfolg stellt sich aber erst ein, als Eduard Sacher 1880 die 21-jährige Metzgertochter Anna Maria Fuchs heiratet. Vom Tag ihrer Hochzeit an übernimmt die fesche und zugleich resolute Frau das Kommando und macht das Hotel in kürzesteter Zeit zum ersten Haus am Platz, zum unbestrittenen Mittelpunkt der feinen Gesellschaft Wiens. Als ihr Ehemann 1892 stirbt, übernimmt Anna auch offiziell die Leitung der Nobelherberge.
Stets eine dicke Zigarre im Mund und mit tiefer Stimme kurze Befehle erteilend, regiert Anna Sacher das Hotel Sacher und sein Personal. Der Schriftsteller Joseph Roth schreibt später über sie: "Ihre Majestät, Frau Sacher, die Maria Theresia der österreichischen Gourmandie, hat am Dienstag, den 23. Oktober 1923, einen Kellner um Entschuldigung gebeten. Das Datum soll der Nachwelt überliefert werden, weil es historisch ist und den Zeitpunkt fixiert, an dem in Österreich das Kaisertum aufhörte, fünf Jahre, nachdem es aufgehört hatte." Doch "ihre Majestät" Anna, die nebenher hunderte kleine französische Bulldoggen züchtet, kümmert sich beispielhaft um die sozialen Belange ihrer Untergebenen. So gründet Anna Sacher eine Betriebskrankenkasse und bezahlt Kuraufenthalte. Heiratet eine Angestellte oder ein Angestellter, erhält das Brautpaar eine komplette Grundausstattung für das erste eigene Heim. Weniger gut versteht sich die Kaiserin der Wiener Gastronomie allerdings mit ihren eigenen Kindern.
So verkauft Eduard junior, zur Ausbildung in der Hofzuckerbäckerei Demel tätig, das originale Sachertorten-Rezept ausgerechnet an die ärgste Konkurrenz seiner Mutter. Es entbrennt eine Art Torten-Schlacht zwischen Sacher und Demel, die erst drei Jahrzehnte und zahllose Prozesse später mit einem Kompromiss endet: Demel muss sein Backwerk "aprikotieren", während Sacher weiter Marillenmarmelade verwendet. Rund 40 Jahre dauert die Blütezeit des Hotels Sacher, bevor der Erste Weltkrieg und das Ende der Monarchie den herrschaftlichen Glanz verblassen lassen. Statt der Hoheiten und Durchlauchten kommen nun die Kriegsgewinnler. Anna Sacher, die den Habsburgern und ihrem Kaiser treu ergeben war, verlässt kaum noch ihr Zimmer. Mit solchen Leuten will sie nichts zu tun haben. Der Plüsch wetzt sich ab, die Tapeten verblassen und Anna Sacher verliert zunehmend die Übersicht. 1929 tritt sie von der Geschäftsführung zurück und wird kurz darauf wegen geistiger Verwirrung entmündigt. Am 25. Februar 1930 stirbt sie mit 72 Jahren in ihrem Zimmer oben im Sacher. Das hoch verschuldete Hotel geht in Konkurs und wird 1934 von Hans Gürtler übernommen, dessen Nachfahren das traditionsreiche Haus noch heute betreiben.
Stand: 02.01.09