Im November 1953 bricht für Englands Fußballfans eine Welt zusammen. Mit 3:6 verliert die eigene Nationalmannschaft im Londoner Wembley-Stadion gegen Ungarn. Es ist die erste Niederlage einer englischen Mannschaft gegen ein Team vom Kontinent. Auch der rechte Verteidiger Alf Ramsey kann trotz eines verwandelten Elfmeters nicht verhindern, dass die "Wunder-Elf" der Magyaren an diesem Tag den Nimbus der Unbesiegbarkeit Englands zerstört. Für Ramsey ist es das 32. Länderspiel und zugleich sein letztes. Bereits mit 33 Jahren beendet der am 22. Januar 1920 geborene Abwehrrecke der Tottenham Hotspurs seine Spielerkarriere. Im Gegensatz zu seinen meist eisenharten Kollegen ist er nie als "Klopper" aufgefallen, der den Ball blind nach vorne drischt. Als erster englischer Verteidiger sorgte er durch kluge Pässe aus der Abwehr heraus für einen konstruktiven Spielaufbau. Ohne eine Trainer-Ausbildung vorweisen zu können, wird der Taktiker Ramsey 1955 vom Drittligisten Ipswich Town als Chefcoach engagiert.
1962, ein Jahr nach dem Aufstieg in die erste Liga, gewinnt Alf Ramsey mit Ipswich sensationell die englische Meisterschaft. Die Funktionäre der Football Association (FA), des nationalen Fußballverbandes, sind begeistert und engagieren den ungelernten Erfolgstrainer 1963 als Chefcoach der Nationalmannschaft. Der General, so Ramseys Spitzname, nutzt die Gunst der Stunde und fordert dem Verband die alleinige Kompetenz für das Team ab. Zähneknirschend stimmen die Funktionäre zu und akzeptieren Ramseys Machtansprüche. Dafür verspricht er ihnen bei Amtsantritt: "In drei Jahren sind wir Weltmeister." Die meisten erklären ihn deshalb für verrückt. Bislang hat England, das selbsternannte Mutterland des Fußballs, bei einer WM noch nie ein Viertelfinale überstanden. Doch mit weicher Stimme und harter Hand gelingt es Ramsey, um exzellente Spielern wie Bobby Charlton, Allan Ball und Bobby Moore herum ein brillantes, eingeschworenes Team zu formen.
Der Rest ist Fußballgeschichte: Am 30. Juli 1966 trifft England im WM-Finale von Wembley auf Deutschland. In der Verlängerung schießt Geoff Hurst an die Unterkante der Latte von Hans Tilkowskis Tor und erzielt den umstrittensten Treffer des Jahrhunderts. Am Ende steht es 4:2 - England ist zum ersten Mal Weltmeister. Die Insel steht kopf und Königin Elisabeth schlägt den WM-Helden Ramsey zum Ritter. Doch der Champion-Titel von 1966 bleibt Sir Alfs letzter großer Triumph. Vier Jahre später, in Mexiko, scheitert England wieder im Viertelfinale - an Gerd Müllers Tor zum deutschen 3:2-Sieg. Als Ramseys Team dann 1974 in Deutschland schon in der Qualifikation ausscheidet, sind die Tage des Nationaltrainers gezählt. Im Mai 1974 machen die FA-Funktionäre kurzen Prozess und lösen Ramsey unsanft von seinem Posten ab. Für seine Verdienste gewährt man ihm eine Pension von 25 Pfund die Woche.Nach zwei Jahren als Trainer und Berater von Birmingham City tritt Sir Alf Ramsey im März 1978 von der Fußball-Bühne ab und zieht sich verbittert ins Privatleben zurück. Zur 30. Jubelfeier des WM-Triumphs von Wembley anlässlich der Europameisterschaft 1996 wird Ramsey, der Vater des Erfolgs, nicht einmal mehr eingeladen. Am 28. April 1999 erliegt er in Ipswich mit 79 Jahren der Alzheimerkrankheit.
Stand: 28.04.09