Ende 1844 irrt der Nervenarzt Heinrich Hoffmann durch die Buchhandlungen von Frankfurt am Main. Er ist auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für seinen dreijährigen Sohn Carl Philipp, aber er wird nicht fündig. "Lange Erzählungen oder alberne Bildersammlungen, moralische Geschichten, die mit ermahnenden Vorschriften begannen und schlossen" - mehr findet Hoffmann in den Regalen nicht.Kurzentschlossen kauft er eine leere Kladde und beginnt, selbst zu schreiben: über Kinder, die für ihren Ungehorsam auf teils grausige Art und Weise bestraft werden. Ergebnis ist das Geschichtenbuch "Struwwelpeter", das sein Verfasser erst auf Drängen von Freunden drucken lässt. Mit seinen Geschichten vom Daumenlutscher und Suppenkaspar, von Hans Guck-in-die-Luft und vom Fliegenden Robert wird aus dem Weihnachtsgeschenk das bis heute berühmteste Kinderbuch der Welt.
Geboren wird Hoffmann am 13. Juni 1809 in Frankfurt. Auf Wunsch des Vaters studiert der eher mittelmäßige Schüler Medizin in Heidelberg, Halle und Paris. Danach eröffnet er eine Arztpraxis im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen. 1841 heiratet er, zehn Jahre später wird er Leiter der "Anstalt für Irre und Epileptische" in Frankfurt. Anders als seine Vorgänger, spricht er mit den Patienten, will ihre Leiden verstehen und wohnt sogar im selben Gebäude. Heute gilt er als Wegbereiter der modernen Jugendpsychiatrie.Bei der Arbeit mit Kindern fällt Hoffmann auf, wie sehr seine gezeichneten Geschichten dabei helfen, einen Zugang zu den kleinen Patienten zu schaffen. "Da nahm ich rasch das Notizbuch aus der Tasche, ein kleiner Bube mit dem Bleistift schnell hingezeichnet, und nun wird erzählt, wie sich der Schlingel nicht die Haare, nicht die Nägel schneiden lässt", wird er später notieren. "Das frappiert den kleinen Desperaten derart, dass er schweigt, hinschaut, und mittlerweile weiß ich, wie es mit dem Pulse steht, wie seine Temperatur sich verhält, ob Leib und Atmung schmerzhaft ist - und der Zweck ist erreicht." Mit den oft drastischen, von schwarzem Humor geprägten Geschichten des "Struwwelpeter" will der Arzt die Leser durch fiktive Grausamkeit nicht zuletzt vor wahrem Übel bewahren: In Zeiten mangelnder Hygienebedingungen kann selbst Daumenlutschen tödlich sein.
Mit Titeln wie "König Nussknacker" (1851), "Bastian der Faulpelz" (1854) oder "Prinz Grünewald und Perlfein" (1871) versucht sich Hoffmann auch später noch als Kinderbuchautor. Die Werke sind zu seinen Lebzeiten große Erfolge, wirken inzwischen aber antiquiert und zu sehr vom Zeitgeist geprägt. Hoffmanns größter Erfolg bleibt der "Struwwelpeter". Insgesamt wird er in 40 Sprachen und 50 Mundarten übersetzt. Vom Erfolg zeugen auch die zahlreichen Parodien, von denen F.K. Waechters antiautoritärer "Anti-Struwwelpeter" die wohl bekannteste ist. Heinrich Hoffmann stirbt 1894 in Frankfurt.
Stand: 13.06.09