In New York ist der 15. August 2003 ein heißer Tag. Bei über 30 Grad laufen die Klimaanlagen auf Hochtouren. Das Hochspannungsnetz ist am Rand seiner Kapazität. Dann fällt in der ganzen Stadt der Strom aus. Auslöser ist ein Kurzschluss in Ohio vom Vorabend. In einer Kettenreaktion wird schließlich der gesamte Nordosten Amerikas lahmgelegt: von Kanada bis New Jersey, von Detroit bis New York. Insgesamt sitzen rund 50 Millionen US-Amerikaner und Kanadier im Dunkeln, zum Teil über drei Tage lang.
Die Metropole New York trifft es besonders hart. Fast 400.000 Menschen sind stundenlang in den U-Bahnen von Manhattan eingeschlossen - ohne Licht und Klimaanlage. Sie ahnen nicht, was geschehen ist. Angst macht sich breit. Ähnlich ergeht es vielen anderen, eingesperrt in den Fahrstühlen der Wolkenkratzer. Schon nach kurzer Zeit gibt es in den Hochhäusern keine Notbeleuchtung und kein Telefon mehr. Die meisten Notstromaggregate sind batteriegestützt und halten nur ein paar Stunden. Statt der Reklame am Times Square leuchten Taschenlampen, statt Broadway-Shows gibt es Straßenmusik. Teilweise kommt am Abend Partystimmung auf, aufgetaute Tiefkühlprodukte werden bei Kerzenschein verspeist. Hunderttausende schlafen auf den Bürgersteigen, sie können nicht nach Hause, kein Zug fährt mehr, die Straßen sind verstopft. Nur an wenigen Tankstellen kann man mit Notstrom Benzin zapfen. In vielen Häusern gibt es kein Wasser mehr, weil die Pumpen nicht arbeiten. Büros, Banken und Geschäfte bleiben geschlossen, Geldautomaten funktionieren nicht mehr, Kreditkarten können nicht gelesen werden.
Für Buchautor Greg Palast, ehemals ein Inspekteur der Energieaufsicht, ist die Ursache klar: Die privatisierten Stromkonzerne haben nach seiner Einschätzung seit Jahren nicht mehr in ihre Anlagen investiert, sondern nur abkassiert. Er kritisiert die Deregulierung des Energiemarkts: "Wogegen ich früher noch ermitteln musste, die Burschen bestrafen und ins Gefängnis bringen musste, das ist jetzt völlig legal." Die Schäden des Blackouts gehen in die Milliarden. Doch die Energiekonzerne können nicht haftbar gemacht werden. Es gibt keine gesetzlichen Mindeststandards für die Versorgungssicherheit. Für Greg Palast ist die Politik mitverantwortlich: "1992 wählte das amerikanische Volk George Bush senior ab. Bevor er das Weiße Haus räumte, erließ er noch das Gesetz zur Privatisierung der amerikanischen Stromindustrie. Sein Sohn hat daraufhin 16 Millionen Dollar Wahlkampfspenden von den Energiekonzernen erhalten." Zwei Jahre nach dem bisher größten und längsten Stromausfall der Geschichte wird ein Gesetz verabschiedet, das Mindestverpflichtungen für die Energiekonzerne festlegt. Doch das ist Greg Palast nicht genug: "Strom ist ein öffentliches Gut wie die Luft zum Atmen. Und es ist Betrug zu behaupten, es könne einen völlig freien Elektrizitätsmarkt geben."
Stand: 15.08.08