Als sich Carl Benz 1886 erstmals mit dem von ihm erfundenen Automobil auf die Straße wagt, holpert er auf eisenbeschlagenen Holzrädern übers Kopfsteinpflaster. Auch die bald darauf entwickelten Vollgummireifen verbessern den Fahrkomfort der ersten Auto-Generation nur unwesentlich. Keiner weiß mehr, dass der Schotte Robert William Thomson bereits Jahrzehnte zuvor luftgefüllte Reifen aus aufgeblasenen Därmen zusammengenäht hatte. Die waren allerdings für Pferdefuhrwerke bestimmt und erwiesen sich als nur bedingt alltagstauglich. Zwei Jahre nach der Jungfernfahrt des Benz-Wagens gelingt es dem Tierarzt John Boyd Dunlop im irischen Dublin, die uralte Erfindung des Rades - und damit das gesamte Verkehrswesen - zu revolutionieren. Seine Erfindung dient "einer größeren Vereinfachung der Beweglichkeit auf Rädern laufender Fahrzeuge besonders der leichteren Klasse wie Fahrräder, Krankenstühle und Ambulanzen". So steht es in der Patenturkunde Nr. 10.607, die Dunlop am 7. Dezember 1888 ausgehändigt wird.
Auslöser für die Konstruktion des ersten funktionstüchtigen Luftreifens ist angeblich Dunlops zehnjähriger Sohn Johnnie, beziehungsweise dessen vollgummibereiftes Dreirad. Im Frühjahr 1888 mag der auch als Tüftler begabte Tierarzt nicht mehr mit ansehen, wie Johnnie über die holprigen Straßen Dublins rumpelt und tiefe Spuren im sorgsam gepflegten Rasen hinterlässt. "Und dann", so erzählt es Ulrich Kubisch vom Deutschen Technikmuseum in Berlin, "hat der Dunlop seine Gummischürze zerschnitten und diese Streifen zu einem Schlauch zusammengeklebt." Als Ventil wird ein Babyschnuller zweckentfremdet. Den zum Schutz mit Segelstoff umwickelten Schlauch montiert Dunlop auf eine runde Holzplatte und bläst ihn mit einer Fußballpumpe auf. Ausgerüstet mit diesen von seinem Erfinder "Pneu" (griechisch pneuma = Luft) getauften Reifen rollt Johnnies Dreirad wie auf Wolken. Bis in die Nacht hinein soll Dunlop junior bei seinem ersten luftgefederten Ausritt nicht von seinem Gefährt zu trennen gewesen sein.
Die irische Radsportszene reagiert zunächst mit Spott auf die Nachricht von Dunlops "luftiger Angelegenheit". Erst als der Rennfahrer William Hume bei den Queens College Sportspielen auf Luftreifen die gesamte englische, auf Hartgummi rollende Fahrrad-Elite abhängt, ist der Siegeszug des Dunlop-Pneus nicht mehr aufzuhalten. 1889 gibt der Tierarzt seinen Beruf auf und eröffnet in Dublin das Dunlop-Werk für Fahrradreifen. Vier Jahre später nimmt im hessischen Hanau die erste Auslandsvertretung unter dem Namen "The Dunlop Pneumatic and Tyre Co. GmbH" den Betrieb auf. 1896, bei den Olympischen Spielen in Athen, treten die Pedal-Athleten schon geschlossen auf luftgefüllten Reifen an. Die Idee, nicht nur Fahrräder, sondern auch Automobile mit Pneus auszurüsten, können aber die Brüder Edouard und André Michelin aus Clermont-Ferrand für sich beanspruchen. In ihrem luftbereiften Peugeot Eclair nehmen sie 1895 am Autorennen Paris-Bordeaux-Paris teil. Dank eines ansehnlichen Arsenals von Ersatzreifen, die auf Fahrer- und Beifahrerseite montiert sind, erreichen sie das Ziel.
Stand: 07.12.08