Das gezackte Papier ist schmucklos und unscheinbar, nur halb so groß wie eine normale Briefmarke, mit weißer Schrift auf blauem Grund: Notopfer Berlin. Am 9. Dezember 1949 beschließt der Bundestag – als eins der ersten Gesetze -, dass die Steuermarke im Wert von zwei Pfennigen künftig auf allen innerdeutschen Sendungen kleben muss. Zum Wohle West-Berlins, das durch die fast einjährige Blockade der Sowjetunion arg gebeutelt worden ist.Das Notopfer ist eine Erfindung der Alliierten, die der Bundestag nun aufgreift. Die Pflichtmarke wird zum Bestseller. Rund 23 Milliarden mal wird sie verklebt und spült 430 Millionen Mark in die Kassen der Not leidenden Frontstadt des Kalten Krieges. Weiteres Geld für die Berlin-Hilfe bringt eine Sondersteuer, die zusammen mit dem Zusatzporto Gesetz wird. Für je 100 Mark Monatseinkommen sind 60 Pfennig für Berlin fällig, bei Besserverdienenden eine Mark.
Eigentlich nur für wenige Monate geplant, erweist sich auch das Notopfer Berlin – wie so viele Abgaben - als äußerst langlebig. Erst 1956 fallen die Briefmarkensteuer und der Solidaritätszuschlag weg, Unternehmen müssen sogar noch bis Ende 1957 ein Notopfer Berlin zahlen. Doch auch danach hängt die Stadt noch Jahrzehnte am Tropf der Bundesrepublik. Großzügige Investitionsförderung, Steuernachlässe und Arbeitnehmerzulagen sollen Firmen und Menschen an die Spree locken. Nach der Wiedervereinigung schmelzen die Subventionen dahin – und ein Bankenskandal bringt den Berliner Landeshaushalt in so arge Bedrängnis, dass wieder über ein Notopfer Berlin nachgedacht wird.
Stand: 09.12.04