Sultan Saladin ist kein übler Herrscher. Als Richard Löwenherz Ende des 12. Jahrhunderts versucht, das von "Muselmanen" eroberte Jerusalem für die Christenheit zurückzuerobern, lässt Saladin ihm in einer Kampfpause Erfrischungsgetränke servieren. Und Friedrich Barbarossa fragt er, ob dessen Tochter nicht seinen Sohn zum Mann nehmen wolle, damit dieser Herrscher des heiligen römischen Reichs werden kann. So jedenfalls besagt es die Legende. Kein Wunder also, dass Gotthold Ephraim Lessing als aufgeklärter Autor rund 600 Jahre später auf Saladin aufmerksam wird. In seinem Drama "Nathan der Weise" setzt er ihm 1779 ein Denkmal.
Zeit seines Lebens möchte Lessing seine Landsleute zur Toleranz erziehen: als Kritiker und Dichter, als Dramaturg, Dramatiker und bei der Akademie der Wissenschaften in Berlin. In seinem Zwist mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze plädiert er für ein "Christentum der Vernunft", das Gedankenfreiheit zulässt. "Nathan der Weise" bringt diese religionsphilosophische Überlegung in der berühmten Ringparabel auf die Bühne. Hier fragt Sultan Saladin den Juden Nathan, ob sein Glaube oder der der Moslems oder Christen der richtige sei. Nathan antwortet salomonisch, indem er von einem Vater erzählt, der seinen drei gleich geliebten Söhnen drei täuschend gleiche Ringe hinterlässt, von denen aber nur einer ein altes Erbstück ist. Kaum ist der Vater tot, will jeder der Söhne der wahre Herrscher über das Vermögen sein, der sich durch den echten Ring legitimieren kann. Aber "der rechte Ring war nicht erweislich", heißt es im Stück. "Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater: so glaube jeder seinen Ring den echten".
Die rechte Religion kann es nicht geben, will Lessing sagen. Über den wahren Glauben, der sich nicht beweisen lässt, kann man nicht streiten. Wer im Namen Gottes Kriege ausficht und Zwietracht sät, der handelt falsch. Am 14. April 1783 wird "Nathan der Weise" in Berlin uraufgeführt. Da ist sein Autor bereits zwei Jahre tot. Er hinterlässt eines der schönsten Kleinode der deutschen Bühnenkunst.
Stand: 14.04.08