Abdullah Öcalan, der Generalsekretär der verbotenen kurdischen Organisation PKK, zeigt keine Regung, als das Urteil am 29. Juni 1999 verkündet wird: Todesstrafe wegen "Hochverrats" und "Separatismus". Er sitzt in einem kugelsicheren Glaskasten auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und blickt starr auf den Vorsitzenden des Sondergerichts. Kaum ist der Schuldspruch vorgetragen, stimmen die Nebenkläger im Gerichtssaal die türkische Nationalhymne an. Sie sind Angehörige von "Märtyrern", wie die im Kampf gegen die Kurden gefallenen türkischen Soldaten genannt werden.
Abdulla Öcalan wird 1949 als eines von sechs Kindern einer armen Bauernfamilie in der anatolischen Urfa geboren. Zum Studium der Politikwissenschaften geht er nach Ankara. Als Mitglied einer linksradikalen Studentenorganisation wird er 1972 für mehrere Monate inhaftiert. Im Gefängnis kommt er in Kontakt mit kurdischen Nationalisten. Ende der 70er Jahre gründet Öcalan die "Arbeiterpartei Kurdistans", kurz PKK. Ihr erklärtes Ziel ist es, einen unabhängigen Staat für die 13 Millionen in der Türkei lebenden Kurden zu errichten - zunächst mit friedlichen Mitteln. Doch nach dem Militärputsch im September 1980 werden linke Organisationen scharf verfolgt. Die PKK weicht nach Syrien aus und organisiert von dort aus den bewaffneten Kampf. Zwischen 1984 und 1998 sterben während des Guerilla-Krieges im Südosten der Türkei auf beiden Seiten insgesamt mehr als 30.000 Menschen. 3.000 kurdische Dörfer werden zerstört und etwa drei Millionen Kurden zur Flucht gezwungen.
Ende 1998 verstärkt das türkische Militär seine Offensive. Öcalan taucht unter. Nach einer Odyssee über Italien und Griechenland wird er schließlich im Februar 1999 in Kenia verhaftet. Geheimagenten verschleppen den "Staatsfeind Nummer eins" in einer spektakulären Aktion aus der griechischen Botschaft in Nairobi. Öcalan wird in der Türkei der Prozess gemacht. Doch das Todesurteil gegen ihn bleibt unvollstreckt. Im August 2002 beschließt das türkische Parlament die Abschaffung der Todesstrafe und wandelt das Urteil in lebenslange Haft um. Damit will die Türkei ihre Chancen auf eine Aufnahme in die Europäische Union erhöhen. Öcalan setzt ebenfalls auf Europa: Seine Klage gegen die Türkei wird seit dem 10. Juni 2004 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verhandelt. Er will damit eine Wiederaufnahme seines Verfahrens vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erreichen.