Stichtag

06. Dezember 2007 - Vor 95 Jahren: Büste der Nofretete in Tell el-Amarna gefunden

"Etwa in Kniehöhe vor uns im Schutt wurde ein fleischfarbener Nacken mit aufgemalten Bändern bloß. Mit den Händen behutsam weitergearbeitet. Die Farben, als hätte der Bildhauer sie gerade aufgetragen. Beschreibung zwecklos, muss man gesehen haben." Als Ludwig Borchert dies in sein Tagebuch notiert, hat der 49-jährige Architekt und Ägyptologe den Fund seines Lebens gemacht: Aus dem Sand von Tel el-Amarna zieht er die nur 47 Zentimeter hohe Büste einer Königin. Als Borchert später vertragsgemäß seine Funde mit den ägyptischen Behörden teilt, bringt er die Büste geschickt auf seine Seite. So erhält sie James Simon, der reiche Sponsor der Expedition. Er schenkt sie den Preußischen Museen in Berlin. Dort ist sie auch heute noch zu sehen - obwohl sich ägyptische Altertumsverwalter immer noch betrogen fühlen.

Die Identität der Königin ist so unumstritten wie ihre zeitlose Schönheit: Die Büste zeigt die Pharaonin Nofretete, zu deutsch: "Die Schöne ist gekommen". Sie ist die Frau des Pharao Amenophis IV., der 1372 v.Chr. den Thron besteigt. Weltpolitisch eher unbedeutend, löst der Herrscher eine Kulturrevolution aus, die ihn in der ägyptischen Geschichtsschreibung lange zu einem Geächteten macht: Amenophis nennt sich Echnaton - Sohn des Sonnengottes Aton. Er gründet eine neue Residenz- und Tempelstadt: Achet-Aton, das heutige Tell el-Amarna, in dem Borchert über 3.000 Jahre später Nofretete wieder ausgräbt. Alles ist unter Echnaton auf den Sonnengott zugeschnitten. Er soll die traditionelle Göttervielfalt verdrängen. Für Echnaton gibt es nur einen wirklichen Gott: die Sonne, die Lebensquelle.

Echnatons Religions-Revolution verändert auch die ägyptische Kunst. Sie wird natürlicher und ausdrucksstärker. Und Nofretete wird ihr Star: In zahlreichen Reliefs wird sie mit Echnaton zusammen als Paar unter den Strahlen der Sonne dargestellt, häufig auch als eine Art "Heilige Familie" mit ihren Kindern, in ungewöhnlicher Zärtlichkeit. In diesem expressiven Stil schafft der Oberbildhauer von Amarna, Tutmoses, auch die Nofretete-Büste. Doch Echnaton und Nofretete können ihre Ansichten gegen die ägyptische Tradition und Priesterschaft nicht durchsetzen. Nach dem Tod des Pharaonen-Paars um 1347 v.Chr. wird der Amarna-Stil wieder aufgegeben, die Aton-Allein-Verehrung beendet, das Andenken an seine Urheber geächtet. Erst die neuzeitlichen Ägyptologen entdecken es neu. Seit Friedrich Schiller wird immer wieder die Vermutung geäußert, Echnatons und Nofretetes Glaube habe einen Religionsstifter beeinflusst, der aus Ägypten kam: Moses.

Stand: 06.12.07