Stichtag

30. März 1912: Karl May stirbt in Radebeul

Bis zu seinem vierten Lebensjahr sei er wegen Mangelernährung blind gewesen, erzählt Karl May. Vielleicht gehört aber auch das zu seiner Legende. Jedenfalls wächst Karl Friedrich, 1842 in Ernstthal (bei Chemnitz) geboren, in einer armen Weberfamilie auf. Neun seiner 13 Geschwister erreichen nicht ihr drittes Lebensjahr. Zu Hause regieren die Not und der jähzornige Vater, der seine Kinder mit einem Strick verprügelt. Aber er schickt den begabten Sohn 1860 auf ein Lehrerseminar, obwohl die Eltern sich das kaum leisten können. Karl May wird Hilfslehrer in der Glauchauer Armenschule.Aber Mays Aufstieg in die bürgerliche Gesellschaft gelingt zunächst nicht. Wegen eines angeblichen Uhrendiebstahls mit Berufsverbot und sechs Wochen Gefängnis bestraft, flüchtet sich May in seine Rache an der Gesellschaft. Er gibt sich abwechselnd als Arzt oder reicher Plantagenbesitzer aus Martinique aus und schlägt sich mit dieser gut gespielten Hochstapelei eine Weile lang durch. Am Ende bringen ihm die Betrügereien jedoch acht Jahre Haft ein. Mays Leben scheint zerstört.

Literarische Hochstapelei

Nach seiner Entlassung jedoch begrenzt May seine Hochstapelei erfolgreich auf das Papier. Er findet eine Anstellung beim Verlag Münchmeyer und beginnt, eigene Reiseerzählungen zu veröffentlichen, erst in Zeitschriften als Fortsetzungsromane, später als eigene Bücher. In seinen Reiseerzählungen erfindet er sein Parallelleben, ausgerechnet für die Jahre, die er im Gefängnis verbrachte. In genau diesen Jahren reist nun Kara Ben Nemsi (Karl, Sohn der Deutschen) durch den Orient und Old Shatterhand, den seine Freunde Charly nennen, durch den Wilden Westen. Hier lernt er seinen später ermordeten und doch unsterblichen Indianerfreund Winnetou, den Häuptlingssohn vom Stamm der Mescalero-Apachen, kennen. In seinen Abenteuer-Geschichten schafft sich Karl May das Alter Ego eines strahlenden, edlen Helden. Seine wahren Eigenschaften verlegt der nur 1,66 m große May in einen Reisebegleiter, den sympathischen Angeber Hadschi Halef Omar. "Indem ich alle Fehler des Hadschi beschreibe, schildere ich meine eigenen", sagt May im Alter.

Zunächst jedoch schaffen er und seine Verleger eine erfolgreiche Legende. Er habe alle seine Geschichten wirklich erlebt, lässt May sein Publikum glauben. Eine bayerische Zeitung druckt unhinterfragt seine Aussage, er beherrsche 1.200 Sprachen und Dialekte. Seine Villa in Radebeul bei Dresden lässt May mit angeblichen Erinnerungstücken seiner Reisen ausstaffieren. Auf Fotos posiert er mit Old Shatterhands Gewehren, dem Henrystutzen und dem Bärentöter. Seine Erzählungen sind geografisch und historisch genau recherchiert. May verkauft bald jährlich über 700.000 Bücher.

Bekenntnisse im Alter

Erst 1899 bricht May mit seiner Frau Emma zu einer wirklichen Weltreise auf. Die Armut im Orient und das Elend der Indianer verschlagen ihm die bisher geführte Sprache. May erleidet einen Nervenzusammenbruch und beschließt, von nun an anders zu schreiben. Seine Alterswerke wenden sich einem mystischen Humanismus zu. May stirbt am 30. März 1912 in Radebeul an Herzversagen. Seine Phantasie lebt weiter in Generationen von Jugendlichen, in Filmen, Festspielen und Parodien.

Stand: 30.03.07